- 423 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (422)Nächste Seite (424) Letzte Seite (435)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

danach gerichtet hat. Spätere Zeiten mögen anders darüber urteilen und ihre praktischen Schlüsse daraus ziehen.

* * *

Wilhelm Altmann wirkte noch Jahre hindurch unerschüttert fort und brachte, vornehmlich wiederum zum Ausgange des Gottesdienstes, seine Theorie bald in eine so exzentrische Art der Darstellung, daß der erklingende Anteil der Tonstücke immer geringer wurde, bis es dann Wilhelm nach dem Ableben des Fürsten bei dessen Begräbnis-Feier wagte, eines der berühmtesten Werke des weiterhin von ihm verehrten B. . . in eine klingende Gestalt zu bringen, welche den von Wilhelm geforderten, imaginierten Teil, den die Gemeinde zu verrichten hatte, um ein Vielfaches unterschritt und sich auf nicht viel mehr als ein Prozent belaufen haben dürfte. Dies wurde auch von Wohlmeinenden als eine Art von musikalischem Lakonismus betrachtet, der aus dem geachteten Bibliographen einen organistischen Sonderling machte. Da der greise Kaiser, dem von solchen Taten seines Wilhelm immer wieder Kunde zugetragen wurden, inzwischen ebenfalls nur noch wenig äußerte, ja zu manchen Zeiten ganze Tage lang kein Wort sprach, es sei denn, er hätte die Worte »Ja«, »Nein« und »Wein« hören lassen, konnte es niemand gelingen, solange der Herrscher des Römischen Reiches dieses selbst noch mit seinem Leben erfüllte, auch durch die krassesten Schilderungen die schützende Hand von Wilhelms Haupt abzuziehen, so auch nicht im folgenden Falle.

Es war die prächtige Passacaglia aus C-Moll, an der sich Wilhelm diesmal versuchte und die sich in der Spielweise, welche seiner Theorie folgte, auf eine einzige geschriebene Notenzeile bringen ließ, die dann ohne Ende wiederholt wurde und dabei nach Wilhelms Lehre den Hörenden zu deren Vorteile die imaginierte Erfindung sämtlicher Variationen überließ. Dieses endlose, immer gleiche Pedalsolo in getragenem Zeitmaße sollte zudem die nimmermüde, trauervolle und von allem Weltlichen befreite Klage Wilhelms um seinen großen vormaligen Gönner hörbar vorstellen, ein Beweis, daß ihm die Gaben des Nachtragens und der Dankbarkeit in reziproken Anteilen verliehen waren.

* * *


Erste Seite (1) Vorherige Seite (422)Nächste Seite (424) Letzte Seite (435)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 423 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben