- 422 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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unter der Erde lebenden Nagern im Waldgebirge fast vollständig auszurotten, ein Umstand, der auch die dem Fürsten von Gott, dem Herrn, anvertrauten Landeskinder noch jahrelang mit dem tiefsten Gram und Schaden berühren sollte. Ab diesem Zeitpunkt begann der Stern des Fürsten nicht nur bei dem Kaiser, sondern auch bei seinen Untertanen merklich zu sinken, und nicht selten geschah es, daß eine Kälte gegen ihn fühlbar wurde, wenn er in seiner gewohnten Aufführung als eine gute Mettwurst durch die Straßen seines Landes kam. Auch gab es einige, die im Spotte seinen Namen verhunzten und ihn, freilich aus Vorsicht nur heimlich, Hartkäse nannten.

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Wenn auch mancherlei Widerstand gegen Wilhelmen an das Ohr des Kaisers im fernen Wien drang, so hielt dieser doch unverändert an seinem Schützlinge fest. Wilhelm legte sich zwar zunehmend auf die Bibliographie, deren ruhmwürdige Ergebnisse bereits weiter oben angeführt worden sind. Jedoch tat dies seiner Lust am Orgelspiele keinen Abbruch, so daß die musikalischen Glieder der Gemeinde, sobald Wilhelm, seines lahmen Beines wegen weithin hörbar, die Treppe zur Orgelempore bestieg, um zum Ausgange zu spielen, geschlossen und in einem mit der Zeit wohlgeordneten Zuge die Kirche verließen wie einst die Israeliten, als sie durch die aufgestauten Wellen des Meeres vor den andrängenden Ägyptern flohen, ehe dann die verderblichen Tonwellen von Wilhelms Pedalspiel über den Verbliebenen zusammenschlugen. Keine Einrede, selbst nicht aus dem Kreise der Schüler des inzwischen verblichenen B. . . , konnte Wilhelm hindern, die Ton-Stücke dieses auch bei den Ausländern gerühmten Mannes auf die geschilderte Art für sich einzurichten. Und er unterfing sich sogar, auf diese Spielart eine Theorie zu gründen, welcher er den Namen einer Musikalischen Imaginations-Lehre gab und zu welcher er einige Jahre später ein umfängliches, nur noch schwer aufzufindendes Werk von einigen hundert Seiten mit Exempeln in Kupferstichen verfaßte und unter dem Titel herausbringen ließ:

Kurtzgefaßte Anweisung wie ein musicalisches Ton-Stükk theils realiter theils imaginaliter in Zusammenwirckung derer Musici und des musicalischen Publico zu executiren und als ein Gantzes wahrzunehmen sei

Darin entwickelte er ein gänzlich neues System des Spielens und Hörens als einer gleichzeitigen Wirkung der musikalischen Praxi und der hörenden Vorstellung, welche sich vereinigten in einer neuen Art von Musikstück, das zum guten Teile nur imaginär vorhanden sei, nicht allein in Noten vom Tonsetzer aufgezeichnet, und sich von Aufführung zu Aufführung merklich verändern könne und müsse, je nachdem, was die Hörenden imaginierten. Der berühmte Kant in Königsberg soll später große Stücke auf dieses Werk gehalten und es allen seinen musikliebenden Freunden anempfohlen haben, ohne daß sich bis jetzt jemand


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