- 413 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Der rechte Augenblick schien gekommen, als Fürst Käsehart für seine Leistungen bei Verfeinerung des vierstimmigen Kirchenchorals vom Kaiser zum Unmittelbaren Reichsfürsten erhöht wurde und zur Feier dieser Ernennung ein einwöchiges Freudenfest einrichten ließ, dessen Abschluß und Höhepunkt eine Kirchenmusik sein sollte, bei der eines der gerühmten Tonstücke des Fürsten zur Aufführung gebracht werden sollte, in der Schlußkadenz aber die Wilhelmsche Akkordlösung, der Quark-Kümmel-Akkord, unter Aufbietung der gesamten Hofkapelle, der Stadtpfeifer und der Fürstlichen Trompeter und Pauker. Hier nun gedachte Wilhelm, den Spielenden statt der vorbereiteten Notenblätter des Akkordes, welche jeweils nur einen einzigen Ton enthielten, den neuen Akkord und seine Auflösung in jeweils zwei Tönen unterzuschieben und dadurch sowohl den Fürsten als auch das übrige Publikum zugleich zu überraschen und zu erfreuen, schrieb also mehrfach h und c, as und g, f und e sowie des und c, dabei im Eifer den zwischen zweiter und vierter Stimme auftretenden Quintenfehler übersehend, welchen der Teufel in seiner abgründigen List und Tücke in die Progression versteckt hatte.

Der Tag rückte heran, welcher die Kirchenmusik enthalten und damit den Beschluß einer unter belustigenden und belehrenden Festen und Feiern abgelaufenen Woche abgeben sollte. Das ganze Städtchen war über und über geschmückt, und die Bevölkerung war von den verwichenen Tagen und von der Ehre, die auch auf sie durch die Erhöhung des Fürsten fiel, mit diesem selbst erfreut und erhoben. Die festliche Gemeinde war im Schein zahlloser Lichter und Fackeln im Gotteshause versammelt, und drängte an den Türen noch eine große Menge nach, die musikalische Krönung der Woche zu erleben. Nach einer eindrücklichen Predigt durch den Superintendenten selbst, Hochwürden Seiberling, über Römer 15, Vers 22 – »Das ist auch die Ursache, warum ich vielmal verhindert worden, zu euch zu kommen« –, einen Text, den er äußerst kunstvoll, wenn auch etwas gezwungen mit der langen Dauer in Zusammenhang brachte, der es zur Lösung des Akkordrätsel bedurft hatte, begannen die Musikanten sich zu ordnen und ihre Noten mitsamt dem ominösen Notenblatte aufzustellen, welches Wilhelm heimlich im Morgengrauen ausgetauscht hatte, indem er den Küster bedeutet hatte, er müsse auf Geheiß des Fürsten die Orgel überprüfen und möglicherweise neu stimmen, auf daß sein Akkord auch rein erklinge und nicht mit den anderen Instrumenten bei dem überraschenden Zusammenklingen der Tonmassen dissoniere.

Nach geendigter Predigt stand Hauptkantor Heinrich Hespos, hinter seinem Rücken überwacht vom Fürsten selbst, von seinem Stuhle auf und ließ die Hände niederfahren. Und das fromme Spektakel hob an. Die Worte des Schlußchorales, an dessen Ende das erstaunliche Phänomen zum Vorschein kommen sollte, hatte Johann Käsehart aus eigener Feder fließen lassen. Ihr Eindruck war mitsamt den künstlich gesetzten Harmonien zugleich gelehrt und erhaben, entbehrte auch nicht jenes melodischen Flusses, den Deutschlands erster Weltweiser in der


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