- 395 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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die Person Paul Graeners betreffend. Zur Erinnerung: Paul Graener, überzeugter Nationalsozialist, Mitglied des Kampfbundes für deutsche Kultur, Vizepräsident der Reichsmusikkammer, vielfach dekorierter Komponist »arteigener« Musik, fanatischer Gegner der Avantgarde und Schöpfer des vielzitierten Verdikts gegen Neue Musik: »Das Volk singt nicht mit!«16
16
Zit. nach Joseph Wulf, Musik im Dritten Reich: Eine Dokumentation, Gütersloh 1963, S. 73.
Zwar wird im Artikel auf eine Internetseite mit näheren Informationen zu Graener hingewiesen, diese mag jedoch nicht jedem Leser zur Verfügung stehen.

Ein weiteres Problem des Aufsatzes: Fehlende Qualitätskriterien lassen alle drei vorgestellten Lieder als künstlerisch gleichwertig erscheinen – was sie nicht sind! Die unbeholfene sprachliche Darstellung lässt überdies differenzierte Aussagen gar nicht zu. All dies ist für Herausgeber und Autorinnen aber offensichtlich irrelevant: ihnen scheint es ausschließlich darum zu gehen, Material zum Singen bereitzustellen. Hauptsache singen – egal was! Ziel ist, »möglichst viele Schülerinnen und Schüler zu aktivieren«.17

17
Hussong/Sandhäger, a. a. O. (s. Anm. 15), S. 18.

Immer mehr Verlage publizieren profitable Reihen mit vereinfachten Spielsätzen für das Klassenmusizieren18

18
Wolfgang Rüdiger zählt 36 Reihen auf; vgl. Wolfgang Rüdiger, Instrumentales und vokales Ensemblemusizieren in Schule, Musikschule und anderen Einrichtungen, in: Praxisfelder der Musikpädagogik, hg. von Siegmund Helms, Reinhard Schneider u. Rudolf Weber, Regensburg 2001, S. 59–84, hier S. 84.
. Freilich ist jede Bearbeitung jedwedes Stückes – ob Pop oder Klassik – für das Klassenmusizieren nichts anderes als speziell für Schulzwecke arrangierte, nur im schulischen Rahmen erklingende und damit musikpädagogische Musik in dem Sinne, wie sie Adorno einst kritisierte. Authentische Klangeindrücke werden so nicht vermittelt; das Original wird verkleinert, bis es machbar ist – dann ist es aber nicht mehr dasselbe Stück. Die musikalischen Erfahrungen, die das Original vermittelt, werden durch eine handgestrickte, mühsam einstudierte Miniatur soweit herunterdimensioniert, dass man sich fragen muss, ob die Mühe überhaupt lohnt. Voraussetzungsloses Musizieren gar – was kann unter solchen Bedingungen anderes möglich sein als elementares Werkeln mit Parametern?

Machen heißt das Gebot der Stunde. Egal was. Wie konstatierte Adorno vor fast 50 Jahren: »[. . . ] daß einer fidelt soll wichtiger sein, als was er geigt.«19

19
Theodor W. Adorno, Kritik des Musikanten, in: Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt, Göttingen 1956, 3. Aufl. 1963, S. 62–101, hier S. 67; ders., Zur Musikpädagogik, a. a. O., S. 102–119.

Ich setze dagegen die Forderung, das Nachdenken über Musik wieder in seine Funktion als eine zentrale Aufgabe des Musikunterrichts einzusetzen. Nachdenken vollzieht sich durch und über Sprache. Damit ist die Sprache das wichtigste Medium in einem Musikunterricht, dessen Gegenstand auch intellektuelle Anforderungen stellt.


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