- 394 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Musikdidaktik ohne Nachdenken

Musikpädagogik versteht sich heute nicht als »Theorie für die Praxis«, sondern als eine Disziplin, die »die Praxis (und ihre Reflexionsformen) lediglich als Gegenstand wissenschaftlich zu beobachten hätte.«13

13
Vogt, a. a. O. (s. Anm. 1), S. 6.
Die aktuelle Fachdidaktik scheint demgegenüber zu einer Praxis ohne Theorie zu mutieren.

Die Musikdidaktik hat sich mehr oder weniger modischen allgemeinpädagogischen Prinzipien (oder Schlagworten) wie Handlungsorientierung, Schülerorientierung, Lebensweltorientierung, Kreativität etc. in einem Maße untergeordnet, das jede Sachorientierung unter Legitimationsdruck setzt. Besonders deutlich wird dies in den neuen NRW-Richtlinien Musik für die Sekundarstufe II. Hier werden kaum noch Musikstücke oder musikalische Lerninhalte genannt, dafür aber sachfremde Schlagworte wie »Wahrheit/Transzendenz«, »Spiel« »Authentizität«, »Trivialität«, »Gegenwelt«, die als »ästhetische Leitideen« apostrophiert werden14

14
Richtlinien und Lehrpläne für die Sekundarstufe II – Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen, hg. vom Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Frechen 1999, S. 39 f.
. Nachdenken über Musik unter diesen Leitaspekten erbringt nichts als pseudophilosophisches Geschwätz – »Gelaber«, wie es die Schüler nennen. Unterrichtsinhalte bzw. Lerngegenstände erscheinen austauschbar, ja beliebig. Es geht kaum noch um die Sache Musik, sondern überwiegend um Verhaltensweisen, Zugänge, Befindlichkeiten. Für die Schüler reduzieren sich damit die Möglichkeiten zu ästhetischer Erfahrung, Erkenntnis, Horizonterweiterung, Wissenserwerb und Persönlichkeitsentwicklung ganz erheblich.

Theorieabstinenz, bisher Privileg der Grünen Hefte und ähnlicher unterrichtspraktischer Produkte, hat mittlerweile auch seriöse Fachzeitschriften erfasst. Musik und Bildung stellte Anfang 2002 ihren (musikpädagogisch-theoretischen) »Grundlagen«-Teil ein und setzt seitdem, wie alle anderen Fachorgane auch, ausschließlich auf direkt übernehmbare Unterrichtsmodelle, die zumeist von Lehrer/-innen geschrieben werden. Das kann gutgehen – muss es aber nicht.

Ein besonders katastrophales aktuelles Beispiel aus Musik und Bildung, Heft 3/2002 ist der Artikel über Morgenstern-Lieder in Klasse 5/6 von Uta Hussong und Margarete Sandhäger15

15
Uta Hussong / Margarete Sandhäger, Herr Löffel und Frau Gabel. Morgenstern-Lieder im Unterricht der Klassen 5/6, in: Musik und Bildung, 34. (93.) Jg. (2002), H. 3 (Juli–Sept.), S. 16–27.
. Die Autorinnen stellen hier Lieder auf Morgenstern-Texte von Paul Graener, Wolfgang König und Wilfried Hiller als Singmaterial vor. Mangelndes Problembewusstsein der Autorinnen, vielleicht aber auch fehlendes historisches Wissen führen hier zu Fehlinformationen und Auslassungen,
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