- 369 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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der Tanz wirkt gewalttätig, eine Atmosphäre der Ausweglosigkeit durchzieht die Szene.

Eine ähnlich tiefe Melancholie und Verlassenheit durchzieht den finnischen Film DAS MÄDCHEN AUS DER STREICHHOLZFABRIK51

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DAS MÄDCHEN AUS DER STREICHHOLZFABRIK, R: Aki Kaurismäki, FIN 1989.
, jedoch fernab aller Tangoklischees hinsichtlich Handlung und Setting. In der Anfangsphase des Films erklingt ein diegetischer Tango in einem Tanzlokal: als Lied der Verzweiflung, der tiefen Melancholie, zugleich als Vision eines fernen Fluchtraums, eines fantastischen Ortes des Glücks und der Freude - »Satumaa« (»Märchenland«, von Unto Mononen). Das vergeblich auf einen Tanzpartner wartende Mädchen träumt standhaft vom Glück, während der Tango erklingt, der Saal tanzt und sich niemand ihrer annehmen will. Kaurismäki artikuliert filmsprachlich diese Sequenz in nur 5 Einstellungen, im Wechsel der Kamera-Perspektive auf die Bühne und auf das wartende Mädchen. Und er konzentriert damit die Wahrnehmung der Spannung zwischen der Tangobotschaft und dem isolierten Mädchen. Jeder Finne kennt diesen Tango, der, wie fast alle finnischen Tangos in Moll steht und stilistisch dem europäischen Tango der 30er Jahre ähnelt. Und er zeigt auch in charakteristischer Weise, dass Finnland zu den »Tangoländern« gehört – neben Argentinien und Japan52
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Tango wird als ein ureigene finnische Musik verstanden. Kaurismäki hat ihm schlitzohrig eine Legende verpasst und ihn sogar als eine finnische Erfindung der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts bezeichnet, von wo er durch Seeleute und Auswanderer nach Buenos Aires gekommen, dort in den argentinischen Tango verwandelt und so nach Europa zurückgelangt sei.
Vgl. http://www.aktivist.fi/inenglish/t.html.
– , denn diese Tangomelodien strahlen eine betörende Melancholie aus, obwohl sie in ihrer Machart recht altmodisch wirken. Als eine Vorahnung von Schrecken und Verzweiflung fungiert auch das Lied vom »Märchenland«, denn die Trostlosigkeit der Realität, die Verbitterung des Mädchens lassen sie schließlich aus Rache zur Mörderin werden.53
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Kaurismäki hat immer wieder Tangos eingesetzt, so z. B. in SCHATTEN IM PARADIES, FIN 1986 (mit einer recht ähnlichen Sequenz) oder in WOLKEN ZIEHEN VORÜBER, FIN 1995.

Mit einem deutschen Tango der 40er Jahre, dem »Lied der Capri-Fischer«, gelingt es Peer Raben in Rainer Werner Fassbinders LOLA54

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LOLA, R: Rainer Werner Fassbinder, M: Peer Raben, BRD 1981.
ein Wirtschaftswunder-Honoratioren-Bordell der 50er Jahre in eine adäquat muffige musikalische Atmosphäre zu tauchen. Barbara Suckowa als zwielichtige Sängerin Lola hat damit ihren Hauptauftritt. Der Tango wirkt zunächst, wie seine Interpretin, als scheinbar saubere auditive Kulisse in einem zweifelhaften Ambiente, verwandelt sich jedoch dadurch in eine sublingual von tiefer Melancholie getragene Botschaft. Anders dürfte er wohl auch nicht rezipiert werden, da niemand damals wie heute diesen Text inhaltlich überhaupt noch ernsthaft wahrnimmt. Der zweite Auftritt allerdings führt zu einem Verzweiflungsexzess der Sängerin: ein neugewonnener, seriöser Freund (der sie woanders als eine andere kennen gelernt hat) erblickt sie an diesem anrüchigen Ort und sie reagiert darstellerisch
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