- 354 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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damit Geld. Außerdem schickte sie Bittbriefe in alle Richtungen; sogar Wagners wurden um Geld gebeten, obwohl sie selbst kaum etwas besaßen. 1866 – da war Minna gerade verstorben – mußte Emma, um die Gläubiger zufriedenzustellen, in Zürich Hausrat, Gemälde und die kostbare Bibliothek versteigern lassen. Daß sie in ihrem Umfeld als »excentrisch bekannte Frau«15
15
Zit. bei Krausnick, a. a. O. (s. Anm. 5), S. 101.
galt, focht sie nicht an. Als Georg 1875 mit 58 Jahren in Baden-Baden an einer Lungenentzündung starb, ließ sie seinen Sarg nach Liestal in die Schweiz bringen; Herwegh wollte in republikanischer Erde beerdigt sein.

Wie konnte es bei so unterschiedlichen Auffassungen und Charakteren zu einer Freundschaft zwischen Minna und Emma kommen? Beide wuchsen in einer Zeit auf, die noch von den Texten und Traktaten des späten 18. Jahrhunderts geprägt war. Die Etablierung der bürgerlichen Familie um 1780–1800 ging mit Bestrebungen einher, einen spezifisch »weiblichen« Geschlechtscharakter zu propagieren. Dazu ein Beispiel von Christian Ludwig Beck aus dem Jahr 1786: Gott hat dem Weibe befohlen, ihren Willen dem Willen des Mannes zu unterwerfen. [...] Glaubt aber das Weib, sie seye um ihrer selbst willen in die Welt gesetzt worden, nur sich zu vergnügen und zu belustigen, und zwar auf Kosten des männlichen Geschlechts [...], so vergißt sie ihre Bestimmung und ist ihrer Bosheit Schuld, wenn sie das Schicksal eines Stockfisches bekommt, dem der Kopf abgenommen wird und ungeklopft nicht zu geniessen ist.16

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Frauenleben im 18. Jahrhundert, hg. von Andrea van Dülmen, München 1992, S. 40 f.

Ob aus pädagogischer, moralphilosophischer oder anthropologischer Sicht: Die Frau wurde als naives, natürliches Geschöpf charakterisiert, das die eine Aufgabe habe, für den Ehemann da zu sein. Beide Frauen wußten um diese Normen. Doch während Emma sich im Widerstreit mit ihrem Schicksal als Frau befand und sich danach sehnte, ein Mann zu sein, um Tätigkeiten zu unternehmen, die ihr sonst verwehrt waren, wucherte Minna in ihrer Jugend mit dem Pfund ihrer Schönheit. Sie verhalf ihr zusammen mit ihrer schauspielerischen Begabung zu akzeptablen Rollen und schließlich zu einem Ehemann, der etwas Höheres verhieß.

Obwohl Emma als Frau mit »männlichem« Mut und Kampfesgeist erschien, war sie hinsichtlich ihrer Beziehung zu Georg konservativ. Sie glaubte an die Ideologie der weiblichen Unterordnung und Anpassung. Selbst Frauen wie Louise Dittmar, Luise Mühlbach und Louise Aston, die um 1848 herum die Stimme erhoben hatten, um Gleichberechtigung mit dem Mann zu fordern, Frauen zum selbständigen Denken anzuregen und sich nicht von Männern in die zweite Reihe stellen zu lassen, waren von einem natürlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern überzeugt.

Sowohl für Minna als auch für Emma bedeutete es einen Forschritt, verheiratet zu sein. Minna träumte aber von einem bürgerlich-ruhigen Leben als Ehefrau eines Kapellmeisters, Emma hingegen wollte aus ihrer Langeweile ausbrechen


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