Die Vielfalt ihrer Talente bewirkte eine innere Unruhe und Unentschlossenheit.
Lese ich ein schönes Werk, scheint es mir, als müsse ich schreiben,
sehe ich ein Bild, das mich in der ganzen Urschöne des Gefühls und
begeisternden Gedankens anstrahlt, ist es wieder die Malerei, welche mir
als Lieblingssprache erscheint, und bei dem ersten Tone, der einer Saite
melodisch entführt wird, möchte ich wieder nur der Musik all mein Streben,
all meine Kräfte widmen. Chaotisch bin ich durch und durch,
schreibt sie verzweifelt.5
Michail Krausnick, Nicht Magd mit den Knechten. Emma Herwegh, eine biographische
Skizze, in: Marbacher Magazin, 83 Jg. (1998), S. 13.
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Die Ziel- und Planlosigkeit des Lebens als Höhere Tochter wirkte geisttötend auf sie:
»Große Müdigkeit. – Abends Segelfahrt. – Whistparthie. Unwohlsein. Kartoffelsalat.«
Sie beneidete Bettina von Arnim (1785–1859), deren Bücher sie las und deren
Leben in den literarischen und intellektuellen Kreisen Berlins sie gerne genossen
hätte:
Eine Frau wie Bettina hat außer vielen anderen Vorzügen auch den
einen nicht jeden unterhalten zu müssen und sich unter dem Vorwande,
bestimmte Stunden zum Studium benutzen zu wollen und zu müssen,
entfernen zu können. So eine Frau jedoch wie ich muss warten,
bis die Leute gehen, und möchte doch so gerne die Zeit anders
ausfüllen.6
Zit. bei Barbara Rettenmun / Jeannette Voirol: Emma Herwegh. Die grösste
und beste Heldin der Liebe, Zürich 2000, S. 24.
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Gemäß den Möglichkeiten, die Frauen ihrer Zeit offenstanden, überlegte sich
Emma, ob sie Künstlerin oder Ehefrau werden sollte. Hier gibt es erstmals
Parallelen zu Minna, für die jedoch die Schauspielerei eher Brotberuf war und erst
in zweiter Linie Berufung. Minna wurde durch die Verarmung ihrer Familie
aufgrund eines unverschuldeten Desasters aufgeschreckt und zum Geldverdienen
motiviert; schon als Kind hatte sie kräftig zu einer Unterstützung ihrer Eltern
beigetragen. Sie widersetzte sich der zeitüblichen Verurteilung der Schauspielerin als
schamlose und unmoralische Person und wollte an den Maßstäben bürgerlicher
Wohlanständigkeit gemessen werden. Emma schwankte zwischen der Musik, der
bildenden Kunst und der Poesie – zu allem fühlte sie eine Begabung, aber es scheiterte
daran, daß sie zum einen zu hohe Ansprüche an sich selbst stellte, und zum
anderen sich mit ihrem unruhigen Geist für keine Kunst im professionellen Sinn
entscheiden konnte. Sie ähnelt darin Frauen wie Fanny Hensel, der Schwester Felix
Mendelssohn-Bartholdys, die zwar eine gründliche musikalische Ausbildung
erhielt, die aber keineswegs zu einer beruflichen Ausübung führen durfte. Da
ihr Vater zudem wohlhabend war, bestand – im Gegensatz zu Minna, die aus
Geldnot Schauspielerin wurde – auch kein Zwang, sich für eine Tätigkeit zu
entscheiden. Aber die berufliche Ausrichtung war nicht alles im Leben Emmas. Im
Unterschied zu Minna, die schon mit 15 Jahren sexuelle Erfahrungen gemacht
hatte, lebte Emma in Phantasien und träumte von einem Mann, der etwas ganz
Besonderes sein müßte. Sie verliebte sich auch in Frauen, verglich aber diese
Schwärmereien nicht mit der eigentlichen Liebe, die einem Mann zuteil werden sollte.
Die Liebe zu einem bedeutenden Mann, dem