- 349 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (348)Nächste Seite (350) Letzte Seite (435)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Die Vielfalt ihrer Talente bewirkte eine innere Unruhe und Unentschlossenheit. Lese ich ein schönes Werk, scheint es mir, als müsse ich schreiben, sehe ich ein Bild, das mich in der ganzen Urschöne des Gefühls und begeisternden Gedankens anstrahlt, ist es wieder die Malerei, welche mir als Lieblingssprache erscheint, und bei dem ersten Tone, der einer Saite melodisch entführt wird, möchte ich wieder nur der Musik all mein Streben, all meine Kräfte widmen. Chaotisch bin ich durch und durch,

schreibt sie verzweifelt.5

5
Michail Krausnick, Nicht Magd mit den Knechten. Emma Herwegh, eine biographische Skizze, in: Marbacher Magazin, 83 Jg. (1998), S. 13.
Die Ziel- und Planlosigkeit des Lebens als Höhere Tochter wirkte geisttötend auf sie: »Große Müdigkeit. – Abends Segelfahrt. – Whistparthie. Unwohlsein. Kartoffelsalat.« Sie beneidete Bettina von Arnim (1785–1859), deren Bücher sie las und deren Leben in den literarischen und intellektuellen Kreisen Berlins sie gerne genossen hätte: Eine Frau wie Bettina hat außer vielen anderen Vorzügen auch den einen nicht jeden unterhalten zu müssen und sich unter dem Vorwande, bestimmte Stunden zum Studium benutzen zu wollen und zu müssen, entfernen zu können. So eine Frau jedoch wie ich muss warten, bis die Leute gehen, und möchte doch so gerne die Zeit anders ausfüllen.6
6
Zit. bei Barbara Rettenmun / Jeannette Voirol: Emma Herwegh. Die grösste und beste Heldin der Liebe, Zürich 2000, S. 24.

Gemäß den Möglichkeiten, die Frauen ihrer Zeit offenstanden, überlegte sich Emma, ob sie Künstlerin oder Ehefrau werden sollte. Hier gibt es erstmals Parallelen zu Minna, für die jedoch die Schauspielerei eher Brotberuf war und erst in zweiter Linie Berufung. Minna wurde durch die Verarmung ihrer Familie aufgrund eines unverschuldeten Desasters aufgeschreckt und zum Geldverdienen motiviert; schon als Kind hatte sie kräftig zu einer Unterstützung ihrer Eltern beigetragen. Sie widersetzte sich der zeitüblichen Verurteilung der Schauspielerin als schamlose und unmoralische Person und wollte an den Maßstäben bürgerlicher Wohlanständigkeit gemessen werden. Emma schwankte zwischen der Musik, der bildenden Kunst und der Poesie – zu allem fühlte sie eine Begabung, aber es scheiterte daran, daß sie zum einen zu hohe Ansprüche an sich selbst stellte, und zum anderen sich mit ihrem unruhigen Geist für keine Kunst im professionellen Sinn entscheiden konnte. Sie ähnelt darin Frauen wie Fanny Hensel, der Schwester Felix Mendelssohn-Bartholdys, die zwar eine gründliche musikalische Ausbildung erhielt, die aber keineswegs zu einer beruflichen Ausübung führen durfte. Da ihr Vater zudem wohlhabend war, bestand – im Gegensatz zu Minna, die aus Geldnot Schauspielerin wurde – auch kein Zwang, sich für eine Tätigkeit zu entscheiden. Aber die berufliche Ausrichtung war nicht alles im Leben Emmas. Im Unterschied zu Minna, die schon mit 15 Jahren sexuelle Erfahrungen gemacht hatte, lebte Emma in Phantasien und träumte von einem Mann, der etwas ganz Besonderes sein müßte. Sie verliebte sich auch in Frauen, verglich aber diese Schwärmereien nicht mit der eigentlichen Liebe, die einem Mann zuteil werden sollte. Die Liebe zu einem bedeutenden Mann, dem


Erste Seite (1) Vorherige Seite (348)Nächste Seite (350) Letzte Seite (435)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 349 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben