- 342 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Es drückt sich in Henzes Lied Heimkehr eine Verzagtheit aus, die in einer tiefen Enttäuschung über den Zustand der Welt ihren Grund hat. So wie die Künstler der Romantik unter den Verhältnissen in der Restaurationszeit im frühen 19. Jahrhundert litten, so trauerte Henze über das Erstarken der reaktionären Kräfte gegen die emanzipatorischen Bewegungen in den 1960er und 70er Jahren (Vietnam-Krieg, Militärputsch in Chile, Attentate gegen Martin Luther King, Che Guevara, Rudi Dutschke). Alle große Kunst speist sich aus der »Sehnsucht der Menschheit nach ihrer zukünftigen Gestalt«, hat Arnold Schönberg mit Bezug auf Gustav Mahler gesagt19
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Arnold Schönberg, Stil und Gedanke. Aufsätze zur Musik, hg. von Ivan Vojtìch, Frankfurt a. M. 1976, S. 18.
. Ebenso möchte Henze trotz aller Verzweiflung über das, was der Mensch dem Menschen immer wieder antut, mit seiner Musik Hoffnung verbreiten, »vielleicht nur einen schwachen Strahl Hoffnung, eben so viel, um dem Pessimismus nicht anheimzufallen, der so verderblich ist wie jede andere Form der Frivolität«20
20
Musik und Politik, a. a. O. (s. Anm. 9), S. 258.
. In der Romantik war dieser Wunsch nach »Heimkehr« in eine befriedete Welt besonders ausgeprägt. Der Dichter Jean Paul traute es insbesondere auch der Musik zu, diese Sehnsucht des Menschen auszudrücken. In dem großen kulturgeschichtlichen Essay Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele beschreibt Jean Paul anfangs des 19. Jahrhunderts das höhere Vermögen der Musik als »Kraft des Heimwehs, nicht jenes nach einem alten verlassenen Lande, sondern nach einem unbetretenen, nicht nach einer Vergangenheit, sondern nach einer Zukunft.«21
21
Jean Paul, Selina, in: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Preußischen Akademie, Band II/4, S. 316.

Sofern ein solches »Heimweh nach der Zukunft« ein Merkmal romantischer Kunstauffassung sein sollte, könnte man Hans Werner Henze (und mit ihm viele Künstler unserer Zeit) am Ende vielleicht doch als ,Romantiker des 20. Jahrhunderts‘ ansehen.

ANHANG

Percy Bysshe Shelley, Ode to the West Wind


I

1O wild West Wind, thou breath of Autumn’s being,

Oh wilder Westwind, du Atem von herbstlicher Art,

2Thou, from whose unseen presence the leaves dead

du, von dessen unsichtbarer Anwesenheit die toten Blätter

3Are driven, like ghosts from an enchanter fleeing,

getrieben werden, wie Geister, die vor einem Zauberer fliehen,



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