Wenn im Artikel Programmusik in der Neuausgabe von Die Musik in Geschichte und
Gegenwart festgestellt wird, daß die Programmusik im zweiten Jahrzehnt des 20.
Jahrhunderts »endgültig ihre Bedeutung als Musik der Avantgarde« verloren
habe,14
Die Partitur von Henzes Ode an den Westwind mit dem Untertitel »Musik für Violoncello und Orchester nach Percy Bysshe Shelley 1792–1822«, gibt im Vorspann das vollständige Gedicht in der Originalsprache wieder. In der gedruckten Partitur gibt es sonst keine Hinweise auf Shelleys Gedicht. Als ich mir vor einigen Jahren die autographe Reinschrift der Partitur in der Paul Sacher Stiftung in Basel ansah, stellte ich aber fest, daß Henze die Verse von Shelleys Ode komplett zwischen die Notensysteme eingetragen hatte.15
Henze erweist sich als genauer Leser des Textes. Mehr noch: Er reflektiert gleichzeitig über das Gelesene und drückt die Gedanken in seiner Musiksprache aus. Diese Sprache ist sehr persönlich. Sie verzichtet auf tonale Zentren, verschmäht aber nicht terzgeschichtete Akkorde. Sie ist mit Taktstrichen notiert, ohne den Takt immer hörbar werden zu lassen. Man merkt ihr den Zeitstil der frühen 1950er Jahre an, in denen die Klassiker der Moderne wie Schönberg und Strawinsky, Berg und Bartók erst noch zu entdecken waren – zumindest in Deutschland. Der erste Satz beginnt, als sänge der Cellist auf seinem Instrument ein Lied. Über der Stimme des Solocellos ist folglich die erste Zeile notiert: |