my lips to unawakened earth / The trumpet of a prophecy!” –
Sei durch meine Lippen für die noch nicht erwachte Erde die Trompete einer
Prophezeiung!: Hier nimmt der Dichter den Odem des Westwinds gleichsam in sich auf,
um mit eigener Lippen Kraft sein Lied der Hoffnung und des Versprechens
zu blasen. Die Wiedergeburt der Natur im Frühling und die Erneuerung der
Gesellschaft (“my words among mankind!”, V, 11) fallen in einer Zukunftsperspektive
zusammen.
Wann Hans Werner Henze Shelleys Ode to the West Wind kennengelernt hat, ist nicht bekannt. Dagegen läßt sich die Entstehungszeit seines Cellokonzerts mit dem Titel Ode an den Westwind recht genau angeben. Begonnen wurde es im Herbst 1952 in München. Am Karfreitag, dem 3. April 1953, machte sich Henze während einer letzten Erkundungsreise nach Italien in Catania auf Sizilien an die Reinschrift der Partitur, die er nach mehreren Unterbrechungen, zu denen auch der Umzug von Deutschland nach Italien gehörte, am 15. August 1953 in Forio auf Ischia beendete.13
Instrumentalmusik, die auf einen dichterischen Text bezogen ist – Henzes Cellokonzert ist so ein Werk –, gehört zur Gattung der Programmusik. Man denke nur an Liszts 1. Symphonische Dichtung, die Bergsymphonie über das Gedicht “ Ce qu’on entend sur la montagne ” – »Was man auf dem Berge hört« von Victor Hugo, um die Traditionslinie zu erkennen, an die Henze anknüpft. Trotz einer langen Reihe von Meisterwerken, die bei Berlioz, Liszt, César Franck, Smetana, Saint-Saëns, Tschaikowsky, Dvoøák, Richard Strauss, Grieg, Mahler, Debussy, Sibelius, Kœchlin, Reger, Skrjabin, Schönberg, Bartók, Berg zu finden sind, herrscht in Musikwissenschaft und Musikkritik – weniger dagegen bei Musikern und Publikum – auch heute noch das Vorurteil, daß Programmusik zu den mediokren Gattungen zähle, weil sie die Reinheit der Tonkunst verletze, sich auf außermusikalische Vorstellungen einlasse, kurz gesagt: nicht autonom sei. Es genügt allerdings, auf die Geschichte von Oper, Oratorium, Passion, Kantate, Lied und Ballett zu verweisen, um solche Ansichten zu entkräften. In diesen, ebenfalls plurimedialen Gattungen wird die besondere Spannung, die aus der Verbindung von Musik mit dem Wort, der Szene, der Aktion von Schauspielern und Tänzern, der Ideenwelt von Literatur, Religion und Philosophie entsteht, allenthalben geschätzt. Warum sollten bei der Programmusik andere Maßstäbe gelten? Und warum sollte das plurimediale Kunstwerk nicht Autonomie beanspruchen können? |