- 330 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Das Mittelalter wurde zu einem mystischen Ort der Einheit von Mensch und Gott verklärt, Märchen und Volkslied feierte man als vermeintliche Zeugnisse für ein unentfremdetes Verhältnis von Künstler und Volk, Nationalgefühl und Religiosität sollten über die innere Zerrissenheit hinweghelfen. Wenn innerer Zwiespalt und Zweifel nicht zu vertreiben waren, gab man sich dem Weltschmerz hin oder reagierte mit Ironie auf die Antinomie zwischen Endlichem und Unendlichem (»romantische Ironie«).

In Frankreich wurde zwar die deutsche Frühromantik, vermittelt durch Madame de Staël, rezipiert (wobei hier auch Goethe und Schiller dazugerechnet wurden); auch gab es in dem Dichter-Politiker François René de Chateaubriand ähnliche Anzeichen einer neuen Religiosität wie in Deutschland (seine Schrift Le génie du christianisme ou Beautés de la religion chrétienne erschien 1802); insgesamt blieben die französischen Intellektuellen – wie übrigens auch die italienischen – aber stärker politisch orientiert mit dem Ziel, den Fehlgang der Revolution von 1789 in einer zweiten Revolution zu korrigieren. Diese fand unter dem Namen »Juli-Revolution« 1830 statt. Sie wurde von wichtigen Werken der französischen Romantik begleitet, darunter die Symphonie fantastique von Hector Berlioz, das Drama Hernani sowie der Roman Notre Dame de Paris von Victor Hugo und die Oper Robert le Diable von Giacomo Meyerbeer. In der nach 1830 einsetzenden »eigentlichen« französischen Romantik6

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Dahlhaus, a. a. O. (s, Anm. 3), S. 134.
findet das Phantastische und Schauerliche eine nationalspezifische Ausprägung. Der in Deutschland gelegentlich zu beobachtenden »selbstgefälligen Vereinzelung des Individuums«7
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Vgl. Erich Köhler, Die französische Literatur, in: Kindlers Literaturlexikon, Band 1: Essays, München: dtv 1974, S. 153–162, hier S. 154.
verfielen die Künstler in Frankreich aber nicht. Sie fühlten sich vielmehr aufgerufen »zur Auseinandersetzung mit der modernen bürgerlichen Industriegesellschaft, deren brutale kapitalistische Anfänge durch das Bündnis mit der Restauration das Land um die Früchte seiner Opfer und Wagnisse zu bringen drohte«, so der Romanist Erich Köhler.8
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Ebenda.

In England zeigte sich eine romantische Mentalität in Malerei und Literatur. Die englische Musik des 19. Jahrhunderts war dagegen wenig eigenständig, was damit kompensiert wurde, daß die romantische Musik Mendelssohns begeistert rezipiert wurde. Der erste romantische Künstler in England war William Blake, der sowohl als Maler und Kupferstecher als auch als Lyriker und Epiker bedeutende Werke vorlegte. Seine großen Epen Milton und Jerusalem stehen direkt unter dem Einfluß der Ideen der Französischen Revolution. Später waren seine Gedichte und Bilder von einem dunklen Mystizismus bestimmt. Lord Byron, der im Gegensatz zu Blake bereits zu Lebzeiten in ganz Europa berühmt wurde, gehört aufgrund seines ausschweifenden Lebens und seiner hochgradig sinnlichen Dichtungen zu den schillerndsten Figuren der Romantik überhaupt. Mit seinen


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