Das Mittelalter wurde zu
einem mystischen Ort der Einheit von Mensch und Gott verklärt, Märchen
und Volkslied feierte man als vermeintliche Zeugnisse für ein unentfremdetes
Verhältnis von Künstler und Volk, Nationalgefühl und Religiosität sollten über die
innere Zerrissenheit hinweghelfen. Wenn innerer Zwiespalt und Zweifel nicht
zu vertreiben waren, gab man sich dem Weltschmerz hin oder reagierte mit
Ironie auf die Antinomie zwischen Endlichem und Unendlichem (»romantische
Ironie«).
In Frankreich wurde zwar die deutsche Frühromantik, vermittelt durch Madame de
Staël, rezipiert (wobei hier auch Goethe und Schiller dazugerechnet wurden); auch gab
es in dem Dichter-Politiker François René de Chateaubriand ähnliche Anzeichen einer
neuen Religiosität wie in Deutschland (seine Schrift Le génie du christianisme ou
Beautés de la religion chrétienne erschien 1802); insgesamt blieben die französischen
Intellektuellen – wie übrigens auch die italienischen – aber stärker politisch orientiert mit
dem Ziel, den Fehlgang der Revolution von 1789 in einer zweiten Revolution zu
korrigieren. Diese fand unter dem Namen »Juli-Revolution« 1830 statt. Sie
wurde von wichtigen Werken der französischen Romantik begleitet, darunter die
Symphonie fantastique von Hector Berlioz, das Drama Hernani sowie der Roman
Notre Dame de Paris von Victor Hugo und die Oper Robert le Diable von
Giacomo Meyerbeer. In der nach 1830 einsetzenden »eigentlichen« französischen
Romantik6
Dahlhaus, a. a. O. (s, Anm. 3), S. 134.
|
findet das Phantastische und Schauerliche eine nationalspezifische Ausprägung. Der in
Deutschland gelegentlich zu beobachtenden »selbstgefälligen Vereinzelung des
Individuums« 7
Vgl. Erich Köhler, Die französische Literatur, in: Kindlers Literaturlexikon, Band 1: Essays,
München: dtv 1974, S. 153–162, hier S. 154.
|
verfielen die Künstler in Frankreich aber nicht. Sie fühlten sich vielmehr aufgerufen »zur
Auseinandersetzung mit der modernen bürgerlichen Industriegesellschaft, deren brutale
kapitalistische Anfänge durch das Bündnis mit der Restauration das Land um die
Früchte seiner Opfer und Wagnisse zu bringen drohte«, so der Romanist Erich
Köhler. 8
In England zeigte sich eine romantische Mentalität in Malerei und Literatur. Die
englische Musik des 19. Jahrhunderts war dagegen wenig eigenständig, was damit
kompensiert wurde, daß die romantische Musik Mendelssohns begeistert rezipiert wurde.
Der erste romantische Künstler in England war William Blake, der sowohl als Maler und
Kupferstecher als auch als Lyriker und Epiker bedeutende Werke vorlegte. Seine großen
Epen Milton und Jerusalem stehen direkt unter dem Einfluß der Ideen der Französischen
Revolution. Später waren seine Gedichte und Bilder von einem dunklen Mystizismus
bestimmt. Lord Byron, der im Gegensatz zu Blake bereits zu Lebzeiten in ganz Europa
berühmt wurde, gehört aufgrund seines ausschweifenden Lebens und seiner
hochgradig sinnlichen Dichtungen zu den schillerndsten Figuren der Romantik
überhaupt. Mit seinen |