- 329 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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das »Entsetzen«, der »Schmerz« und die »unendliche Sehnsucht« fand er in Beethovens Musik. Auch die eigene Musik, die im klassizistischen Stil gehalten ist, erlebte er so, was gerade auch dann deutlich wird, wenn Hoffmann ein typisch romantisches Sujet wie das der »Undine« verarbeitete, aber wie Haydn komponierte. Er konnte dies nicht als Widerspruch erkennen, weil er seine und die Musik der Wiener Klassiker in romantischer Einstellung hörte und sie deshalb für romantische Musik hielt.

Eine wirklich neue, spezifisch romantische Musik gab es um 1810, als Hoffmann über Beethovens Fünfte schrieb, noch gar nicht. Der wirklich neue Klang, wie er uns in Mendelssohns Schottischer Sinfonie oder im Scherzo der Sommernachtstraum-Musik entgegentritt oder aber in der Musik Carl Maria von Webers, Heinrich Marschners, des späten Franz Schubert und Robert Schumanns zu hören ist, kam erst in den 1820er Jahren auf. Die Musik war gegenüber der Literatur deutlich verspätet. Sie fand ihren eigenen romantischen Ton auch später als die Malerei in Deutschland, deren erste typisch romantische Werke in engem zeitlichen und ideellen Zusammenhang mit der literarischen Frühromantik entstanden – so zum Beispiel das Ölgemälde Mönch am Meer von Caspar David Friedrich (1809), das eine einsame Figur in Rückenansicht zeigt, die den Blick über einen verdunkelten Horizont in eine unbestimmte, unendliche Ferne richtet.5

5
Vgl. den Artikel Romantik im Lexikon der Kunst. Malerei, Architektur, Bildhauerkunst, Erlangen: Müller 1994, Bd. 10.

Die Romantik folgte der Aufklärung wie die Dämmerung dem Tageslicht oder der Traum dem Wachsein. Man kann das ab 1790 einsetzende Befinden der Romantiker mit dem notwendigen Ausgleich zwischen Verstandes- und Gefühlskräften erklären. Dieser Gedanke liegt u. a. Richard Wagners Theorie des allumfassenden Dramas zu Grunde. Näherliegend ist indessen die Herleitung der Romantik aus den Enttäuschungen über die Folgen der Französischen Revolution von 1789. Der gewaltsame Sturz des Ancien régime, der die notwendige Folge eines aufgeklärten Denkens war, das so »vernünftige« Ideen wie Fraternité, Égalité und Liberté hervorgebracht hatte, verkehrte sich noch im Vollzug der Revolution zu einem Terrorunternehmen (die Erfindung der Guillotine war eine ,revolutionäre‘ Neuerung!) und führte leider nirgendwo in Europa zu dauerhaften Republiken mit gesicherten Bürgerrechten. Vielmehr griff überall die Restauration um sich. Es entstanden neue Monarchien und sogar polizeistaatliche Regime – so das Metternich-Regime in Österreich.

Die Künstler in Europa reagierten sehr unterschiedlich auf die Restauration zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Kein Wunder, daß die Romantik eine durch und durch heterogene Erscheinung war. In Deutschland kam es zu einem Rückzug in die Innerlichkeit mit der Folge eines gesteigerten Subjektivismus und Individualismus.


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