- 318 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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auch das Instrumentarium merklich vergrößert und dynamisch gesteigert vom pianissimo zu Beginn des Schicksalsliedes zum fortissimo eines Tamtam-Crescendo nach dem letzten Wort. Diese durch die Falsettlage originelle, im Gesamtablauf des Schicksalsliedes vergleichsweise konventionelle Vertonung entspricht in ihrer Direktheit dem Konzept der »Briefoper« Zimmermanns, in welcher das Schreiben und Lesen von Briefen bzw. die Projektion von Geschriebenem der zugrundeliegenden literarischen Form des Briefromans adäquat ist.

Das Musiktheater Hyperion (1959–69) von Bruno Maderna (1920–1973) versteht sich als beliebig kombinierbares Mosaik unterschiedlichster, teils instrumentaler, teils vokaler Annäherungen an Fragmente aus dem Hyperion-Roman; die Einzelteile sind auch separat aufführbar, ihre Auswahl und Zusammenstellung für eine Bühnenversion ist den Interpreten (der Regie) überlassen. Ein Labyrinth musikalischer und literarischer Verflechtungen durchzieht Madernas Hyperion-Projekt, dessen »Hauptperson« nicht ein Sänger, sondern ein Soloflötist ist – eine Anspielung auf den tatsächlich Flöte spielenden Hölderlin; die aleatorische Offenheit des Konzeptes entspricht der Offenheit der literarischen Vorlage und den dort entwickelten Lebensentwürfen der handelnden Personen. Hyperions Schicksalslied ist in der auf Tonträger festgehaltenen Aufführungsversion in zwei Teile, entsprechend der ersten und zweiten bzw. der dritten Strophe, aufgespalten, jedoch von Maderna durchaus als Einheit kompositorisch konzipiert, als ein teils madrigalesker, teils kanonisch geführter, teils auch homophoner Gesang für maximal siebenstimmigen Chor und Instrumente, die aber nur an bestimmten Punkten zum Einsatz kommen. Der Chor beginnt a cappella, in durchweg hoher Lage, erst bei dem kanonischen Einsatz auf »glänzende Götterlüfte« tritt das Instrumentalensemble hinzu, dessen Zusammensetzung bezeichnend ist: melodische Schlaginstrumente wie Xylophon, Marimbaphon, Glockenspiel, Celesta, dazu Mandoline, Gitarre und drei Harfen schaffen einen geradezu ätherischen »Hof« um den Gesang bis zur Stelle »heilige Saiten«. In der zweiten Strophe wird der Chor nur an wenigen Stellen durch Glockentöne gestützt. Der Beginn der dritten Strophe, nun im Chor deutlich in tieferem Register, bringt zum Text »Doch uns« drei Akkorde der drei Harfen, danach singt der Chor a cappella bis zum Schluß, wo alle Stimmen auf dem lang gehaltenen d’ zusammenlaufen. Der Sinn dieser Verteilung des musikalischen Geschehens ist klar: in der Beschreibung der himmlischen Sphäre erscheint eine ungreifbar-ätherische Instrumentalmusik nur sporadisch, wie eine Ahnung von etwas »Ungekommenem« (Ernst Bloch), von einer utopischen, künstlerisch tätigen Gemeinschaft, über deren Klänge einst das von Gustav Mahler in seiner Vierten Sinfonie verwendete Wunderhorn-Lied sagte: »Kein’ Musik ist ja nicht auf Erden, die unsrer verglichen kann werden«. Dennoch ist diese Sphäre nicht unerreichbar – sie war dies weder für Hölderlin noch für Maderna, denn die vollgriffigen Harfenakkorde zu Beginn der dunklen dritten Strophe geben der Vision Ausdruck, die himmlischen Klänge auf die leidende Welt herunterzuholen.


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