- 317 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Deutlich satirischen Charakter besitzt die 14. Szene aus Mauricio Kagels (geb. 1931) »Lieder-Oper« Aus Deutschland (1977–80); diese Szene zeigt Hyperion ausgestreckt in einem herrschaftlichen Park, Hölderlin rezitierend, darunter auch das Schicksalslied, dessen dritte Strophe »ernst, wie ein erzählender Barde« vorzutragen ist. Hier besteht der Sinn nicht in einer Deutung des Textes, sondern in der Entlarvung dieses wie auch anderer Texte der »Lieder-Oper« als Träger von Ideologie, wozu sie in der Rezeption, ohne das Zutun der Dichter, geworden sind. Eine Ironisierung des Hölderlin-Textes als solchen ist nicht beabsichtigt.

Einen Extrempunkt von Sprach-»Behandlung« und Sprachverfremdung stellt die Komposition Versuch über Sprache für 16 Solostimmen, Hammondorgel, Kontrabaß und zwei Lautsprecherkanäle (1969) von Nicolaus A. Huber (geb. 1939) dar, worin u. a. die erste Strophe des Hölderlin-Textes verwendet wird. Die Texte dienen hier dazu, die klanglich-elektronische Verfremdung von Sprache darzustellen. So heißt es in der auf Millimeterpapier nach Dauer notierten Partitur bei Minute 8: »Hölderlintext von ,Ihr wandelt droben‘ bis ,heilige Saiten‘ so hoch transponiert, daß aus Sprache ein hohes, schwirrendes Klangband entsteht«; bei Minute 13 ist der Text ab »Glänzende Götterlüfte« stumm zu sprechen, nur bei bestimmten Vokalen sind Zimbeln anzuschlagen. Die technische Unkenntlichmachung des Textes kann auch als sinnhafte Demonstration von Erdferne der himmlischen Gefilde der Genien verstanden werden.

Das Schweigen der Sirenen nach der Erzählung von Franz Kafka für Sopran, Tenor, großes Orchester und Zuspielbänder (1987) ist ein Werk von Rolf Riehm (geb. 1937); in die zugrundeliegende Textmontage wurde die erste Strophe des Gedichtes von Hölderlin integriert, die in einer nur halbminütigen Episode und auch nur teilweise wahrnehmbar erklingt; »eine Riesenwelle bricht sich mit der Hölderlin-Ode« lautet der Kommentar des Komponisten zu dieser Stelle eines sich aufbäumenden Klanges zu der von Kafka umgedeuteten Mythologie: nicht der angebundene Odysseus hört den Gesang der Sirenen, sondern seine mit Wachs verstopften Ohren bewegen die Sirenen, überhaupt nicht zu singen.

Zwei musikdramatische Werke, die auf je unterschiedliche Weise den Hyperion-Roman Friedrich Hölderlins zum Ausgangspunkt nehmen, enthalten auch Vertonungen von Hyperions Schicksalslied: die Komponisten sind Walter Zimmermann und Bruno Maderna. Walter Zimmermanns (geb. 1949) Hyperion, Briefoper nach Hölderlin für Sänger, Instrumentalisten und Schriftprojektionen (1989–90) enthält (Takt 786 ff.) Hyperions Schicksalslied, vorgetragen von Hyperion, einem »hohen Bariton«, zunächst im Falsett für die ersten beiden Strophen, dann in normaler Stimmlage des Interpreten für die dritte Strophe. Die Gesangslinie ist weitgehend rezitierend, mit nur kleinen Intervallschritten gehalten, und wird zu Beginn nur von den Crotales und der Harfe begleitet; erst in der dritten Strophe, auf die Worte »von Klippe zu Klippe« und »ins Ungewisse hinab«, springt die Stimme über größere Intervalle, und bis hierhin hat sich


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