- 316 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (315)Nächste Seite (317) Letzte Seite (435)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Inhalt des Gedichtes »nacherzählt«, sondern Klangkomplexe zunächst zart und transparent, dann immer dichter und vielschichtiger aneinanderreiht, strukturiert durch minimale, aber im Laufe des knapp halbstündigen Werkes nachhaltige Veränderungen der Dichte und Farbe. Im Umkreis der hier zu betrachtenden Werke ist dies sicherlich eine der extremsten »nonverbalen« Annäherungen an Hölderlin.

Nonverbal geht es auch in den beiden Kompositionen Ihr wandelt droben im Licht und Doch uns ist gegeben des Schweizers Mathias Gloor (geb. 1969) zu, die er für das Jazztrio Kieloor entartet schrieb. Diese Formation besteht aus elektrischer und akustischer Gitarre, Schlagzeug und Klavier/Keyboards sowie von Fall zu Fall Zusatzinstrumenten. Ausgehend von den jeweils ersten Zeilen der ersten bzw. dritten Strophe des Hölderlin-Gedichtes entwirft Gloor in Ihr wandelt droben im Licht ein ruhiges, fast statisches Klangbild meditativer Introversion, aus dem sich nur wenige motivische Komplexe herauskristallisieren. Erst am Ende des Stückes gibt es ein plötzlich beschleunigtes, herabstürzendes Motiv. Doch uns ist gegeben, auf der CD nicht direkt folgend, beginnt wiederum mit genau diesem Motiv, welches dem Stück einen unwiderstehlichen Drive verleiht; doch kehren auch »ruhige« Motive aus dem ersten Stück wieder, so daß, trotz getrennter Placierung auf der CD, ein innerer Zusammenhang erkennbar wird.

In einer Reihe von Werken bildet Hyperions Schicksalslied nicht den eigentlichen Inhalt und Zweck der Komposition, sondern wurde in einen umfassenderen Zusammenhang eingebettet, meist auch nur fragmentarisch. So enthält Jacques Wildbergers (geb. 1922) An die Hoffnung für Sopran, Sprecher und Orchester (1978–79) zu Beginn das Schicksalslied in gewohnter Kontrastdarstellung mit Fortissimo-Paukenschlägen zum Einsatz der dritten Strophe; danach beginnt der Sprecher mit der Rezitation zeitgeschichtlich-politischer Texte, auch andere literarische Texte (Jurek Becker, Erich Fried) werden einbezogen. In Tempus cadendi, tempus sperandi für gemischten Chor und sechs Instrumentalisten (1998–99) erscheint der Hölderlin-Text neben solchen von Paul Celan und Erich Fried in einer mehr introvertierten, manchmal wie gesprochenen Darstellung.

In der Oper Esmée (1987–94) des Niederländers Theo Loevendie (geb. 1930) erscheint die dritte Strophe des Hölderlin-Gedichtes als eine Art komponiertes Zitat: die Oper beginnt mit der Szene einer bürgerlichen Abendgesellschaft, in der das Schicksalslied als klavierbegleiteter, später in den Orchesterklang eingebetteter Liedvortrag erklingt; das ist einerseits Demonstration großbürgerlicher »Hausmusik«, andererseits aber auch Vorausschau auf das Geschehen der Oper, ein historisch verbürgtes Vorkommnis während des Zweiten Weltkrieges im von den Nazis besetzten Holland: Esmée ist eine Widerstandskämpferin, die durch die Liebe zu einem deutschen Offizier in einen unlösbaren Konflikt gerät.


Erste Seite (1) Vorherige Seite (315)Nächste Seite (317) Letzte Seite (435)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 316 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben