- 313 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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drückt Brahms’ Lösung des Konklusionsproblems, die »sehnsuchtsvolle« Instrumentalmusik am Ende aufzugreifen und somit eine nonverbale Versöhnung der beiden Sphären zumindest anzudeuten, vielleicht unbewußt etwas von dem aus, was Hölderlins zweite Strophe und der Kontext des Hyperion-Romans ebenfalls andeuten, daß nämlich das »Fallen« ins »Ungewisse« eben nicht das letzte Wort ist.

Natürlich war es naheliegend, den Kontrast der beiden Sphären auch musikalisch zum Ausdruck zu bringen, und dies findet sich auch in der 1830 entstandenen ersten Vertonung von Hyperions Schicksalslied durch Theodor Fröhlich (1803–1836). Der Schweizer Komponist bildet sogar die Dreiteiligkeit des Gedichtes musikalisch nach, indem er mit »Senza rigor del tempo«, »Andante« und »Allegro agitato« drei unterschiedliche Tempi für die drei Strophen vorgibt, wobei aus Gründen der Symmetrie die dritte Strophe zweimal vertont wurde. Auch gibt es Lautmalerisches in der Klavierbegleitung, wenn zu »wie die Finger der Künstlerin heilige Saiten« harfenartige Arpeggien erklingen oder zur dritten Strophe vielfach synkopierte Akkorde und unruhige Läufe zu hören sind. Ein Konklusionsproblem wie für Brahms stellte sich für Fröhlich offenbar nicht: ein nur zweitaktiges Nachspiel des Klaviers beendet das Werk recht abrupt.

Die Vertonungen für Männerchor durch Philipp Scharwenka (1847–1917; Komposition 1893) und Walther Aeschbacher (1901–1969; Komposition 1947) folgen in ihrer Kontrastdramaturgie im Wesentlichen dem Vorbild Brahms, wobei Aeschbacher im Aufgreifen der Worte aus der Eingangsstrophe »Selige Genien« am Schluß die von Brahms erwogene, aber dann verworfene Lösung für die Abrundung des Werkes wählt. Thomas Christian Davids (geb. 1925) Satz für gemischten Chor (1951) wählt den Kontrast nicht nur im Dynamischen – Steigerung bis zum dreifachen forte auf »jahrlang« –, sondern auch durch den Übergang eines kontrapunktisch durchbrochenen Satzes zur Homophonie. Dieses Vorgehen findet sich auch bei Harald Genzmer (geb. 1909) im fünften seiner Sieben Hölderlin-Chöre (1989), der »Andante tranquillo« beginnt und dessen dritte Strophe »Vivace« einen geradezu fanfarenartigen Einsatz im fortissimo auf »Doch uns« bringt.

Der Tempokontrast bestimmt auch die kurze, schmucklose Vertonung von Josef Matthias Hauer (1883–1959), enthalten in dessen (fünf) Hölderlin-Liedern op. 6 aus dem Jahre 1914, die Hauer ohne Taktstriche notierte, entsprechend seiner Intention einer freien Rezitation eines gleichsam musikalisierten Gedichtvortrags. Viertel = 40 bzw. Viertel = 80 sind die beiden Tempi für die erste und zweite bzw. die dritte Strophe; dazu kommt ein dynamischer Kontrast: piano für die ersten beiden, forte für die dritte Strophe und fortissimo für »Jahrlang«, danach für »ins Ungewisse hinab« – melodisch eine Ganztonleiter abwärts, unisono in Gesangsstimme und Klavier – mezzoforte und ein decrescendo zum piano.


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