- 311 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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schwinden vor dem Bilde der ewigeinigen Welt, wie die Regeln des ringenden Künstlers vor seiner Urania, und das eherne Schiksaal entsagt der Herrschaft, und aus dem Bunde der Wesen schwindet der Tod, und Unzertrennlichkeit und ewige Jugend beseeliget, verschönert die Welt.« (FA 11, 585) Dies ist eine Vision der Einswerdung des Menschen mit der Natur, damit auch mit der göttlichen Sphäre, von der er zur Zeit, noch, getrennt ist; erst in dieser Einswerdung verlieren Schicksal und Tod ihr Bedrohliches.

»Es ist ein Gott in uns, sezt’ er ruhiger hinzu, der lenkt, wie Wasserbäche, das Schiksaal, und alle Dinge sind sein Element. Der sei vor allem mit dir!« (FA 11, 596) Das Göttliche ist als Potenz im Menschen vorhanden; kommt es zur Einheit, so sind auch die »Wasserbäche« in gewisser Weise lenkbar, der Mensch wird nicht mehr nur »von Klippe zu Klippe geworfen«.

»Ich hab es heilig bewahrt! Wie ein Palladium, hab ich es in mir getragen, das Göttliche, das mir erschien! Und wenn hinfort mich das Schiksaal ergreift und von einem Abgrund in den andern mich wirft, und alle Kräfte ertränkt in mir und alle Gedanken, so soll diß Einzige doch mich selber überleben in mir, und leuchten in mir und herrschen, in ewiger, unzerstörbarer Klarheit!« (FA 11, 641–642) Die Sterblichkeit ist unaufhebbar, aber in der Vermenschlichung des Göttlichen und damit einhergehend der Befreiung des Göttlichen im Menschen eröffnet sich eine unzerstörbare Potenz, selbst im »Abgrund«.

»In den Olymp des Göttlichschönen, wo aus ewigjungen Quellen das Wahre mit allem Guten entspringt, dahin mein Volk zu führen, bin ich noch jetzt nicht geschikt.« (FA 11, 701) Die historische Situation der Aufhebung der »Ungewißheit« ist noch nicht herangereift, aber das Ziel ist den Wissenden schon vorstellbar.

». . . ihr Tempelsäulen und du Schutt der Götter!« (FA 11, 773) heißt es gegen Ende des Romans über eine vom Menschlichen losgelöste göttliche Sphäre, die nur noch in ihrem »Schutt« und ruinenhaften Säulen existiert, quasi als Vorgeschichte des wirklich Menschlichen.

Hölderlin hat den Gegensatz zwischen »oben« und »unten« als geschichtlich erfahrbare Situation in ein drastisches Bild gefaßt und gleichzeitig in einer gleichsam metahistorischen Ebene als Gegenüber einer göttlichen und menschlichen Sphäre zweier noch getrennter, aber eigentlich zusammengehöriger Seinsweisen begriffen. Dieses Verständnis einer Einheit, die, historisch betrachtet, in einer vorrevolutionären Zeit noch nicht zu sich selbst gekommen ist, nicht kommen konnte, wird in der zweiten Strophe angedeutet, versteckt, wie ein Kassiber an die Gleichgesinnten.


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