Wie wäre aber unter der Auffassung dieses Satzes als einem in einer modifizierten
Sonatenhauptsatzform stehenden der Abschnitt vor dem »Seitenthema« zu bestimmen? Er
hätte die Funktion einer Überleitung. Bei Beethoven durchaus üblich sind Überleitungen
vom Haupt- zum Seitenthema, die mit einer Wiederholung des Hauptthemas beginnen.
Daß diese Wiederholung nicht Tonartengleichheit voraussetzt, lehrt bereits die erste, von
Beethoven selbst veröffentlichte Sonate: Op. 2, Nr. 1 beginnt in F-Moll, der
Überleitungsbeginn steht hingegen in C-Moll. Aber auch das Beethovensche Element der
Antizipation von Motiven des Seitensatzes in einem Überleitungsteil ist nachweisbar. War
der Themenkopf des »Hauptsatzthemas« gekennzeichnet von einem auftaktigen
Tonwiederholungsmotiv im Sopran bei stufenweise bewegtem Baß, so ist der
»Seitensatz«-Beginn gekennzeichnet von einem liegenden Baß und liegender
Mittelstimme, wohingegen der Sopran ein Sekundmotiv aufweist: auftaktig vom
h1 zum
neapolitanischen
91
Diese spezifische Klanglichkeit des gleichzeitigen Anschlagens von kleiner None und
dem Grundton als Liegestimme, gefolgt von der großen Septime über demselben Ton
könnte als Illustrationsbeispiel für Adornos These herhalten, daß »die Ausdruckskraft der
Beethovenschen Dissonanz [. . . ] wirksam [ist] nur in dieser Komplexion von Tonalität und bei
diesem Akkordvorrat.« (Theodor W. Adorno, Beethoven. Philosophie der Musik. Fragmente
und Texte, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993 [= Nachgelassene
Schriften. Abteilung I: Fragment gebliebene Schriften; Bd. 1], Fragment 138, S. 94.)
Bedeutsam im Hinblick auf die Klanglichkeit auch, daß in der neuen Gesamtausgabe
die Crescendogabel so über die Taktmitte hinausführt, daß die Betonung deutlich in der
Dissonanz der großen Sept auf der vierten Zählzeit erfolgt. Und dies im Unterschied zu fast
allen älteren Ausgaben, die die Dynamik mit dem An- und Absteigen der Baßstimme der
linken Hand parallelisieren.
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c2 und eine (verminderte) Terz tiefer sogleich nochmals vom
ais1 zum
h1. Eben diese
Umschreibung eines Tones mit seiner oberen und unteren Nebennote bestimmt den
Überleitungsabschnitt in Takt 12/13:
fis1 - g1(!)-
e1-
fis1. (Noch deutlicher wird diese
überleitende Vermittlung in Takt 50 ff.: dort ist der Überleitungsteil harmonisch anders
disponiert und schließt mit den Tonhöhen [neapolitanisches]
d2 gefolgt von
his1 und
cis2, d. h. genau jenen Tonhöhen, mit denen dann der Seitensatz
beginnt.)
Es ist hier nicht der Ort zu diskutieren, inwieweit der Abschnitt
Takt 23–42 Elemente aufweist, die man durchführungsartig benennen
könnte92
In Stichworten: Beginn der Durchführung mit dem transponierten Hauptsatz, Halbschluß,
Auflösung der Faktur einhergehend mit Elementen der Abspaltung von Melodieteilen usw.
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Im Zusammenhang mit dem Thema Quintfallsequenz ist aber ein Vergleich der
Überleitungsteile weiterführend. In der »Exposition« hatte der Überleitungsteil
modulatorisch nur einen geringen Weg – der von E-Dur über E-Moll nach H-Dur. Der
Rückweg zur Tonika-Tonart Cis-Moll geschah ja abschnittsweise und über den gesamten
Expositionsteil (inklusive des Beginns bzw. der gesamten »Durchführung«). Da nun aber
in der »Reprise« das Seitenthema sofort in Cis-Moll anschließt, mußte Beethoven rasch
von E-Dur zu dieser Tonart übergehen: Dies geschieht in der Weise, daß nun nicht
mehr nach E-Moll vermollt wird, sondern direkt in E-Dur fortgefahren wird,
wobei der Themenkopf sogar sich als eine direkte Umformung von Cis-Moll in
die Paralleltonart erweist. (Der Auftakt in Takt 10, das
g1, war die Terz des
E-Moll-Klanges, seine Entsprechung
h1 in Takt