- 291 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Wie wäre aber unter der Auffassung dieses Satzes als einem in einer modifizierten Sonatenhauptsatzform stehenden der Abschnitt vor dem »Seitenthema« zu bestimmen? Er hätte die Funktion einer Überleitung. Bei Beethoven durchaus üblich sind Überleitungen vom Haupt- zum Seitenthema, die mit einer Wiederholung des Hauptthemas beginnen. Daß diese Wiederholung nicht Tonartengleichheit voraussetzt, lehrt bereits die erste, von Beethoven selbst veröffentlichte Sonate: Op. 2, Nr. 1 beginnt in F-Moll, der Überleitungsbeginn steht hingegen in C-Moll. Aber auch das Beethovensche Element der Antizipation von Motiven des Seitensatzes in einem Überleitungsteil ist nachweisbar. War der Themenkopf des »Hauptsatzthemas« gekennzeichnet von einem auftaktigen Tonwiederholungsmotiv im Sopran bei stufenweise bewegtem Baß, so ist der »Seitensatz«-Beginn gekennzeichnet von einem liegenden Baß und liegender Mittelstimme, wohingegen der Sopran ein Sekundmotiv aufweist: auftaktig vom h1 zum neapolitanischen91
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Diese spezifische Klanglichkeit des gleichzeitigen Anschlagens von kleiner None und dem Grundton als Liegestimme, gefolgt von der großen Septime über demselben Ton könnte als Illustrationsbeispiel für Adornos These herhalten, daß »die Ausdruckskraft der Beethovenschen Dissonanz [. . . ] wirksam [ist] nur in dieser Komplexion von Tonalität und bei diesem Akkordvorrat.« (Theodor W. Adorno, Beethoven. Philosophie der Musik. Fragmente und Texte, hg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993 [= Nachgelassene Schriften. Abteilung I: Fragment gebliebene Schriften; Bd. 1], Fragment 138, S. 94.)
Bedeutsam im Hinblick auf die Klanglichkeit auch, daß in der neuen Gesamtausgabe die Crescendogabel so über die Taktmitte hinausführt, daß die Betonung deutlich in der Dissonanz der großen Sept auf der vierten Zählzeit erfolgt. Und dies im Unterschied zu fast allen älteren Ausgaben, die die Dynamik mit dem An- und Absteigen der Baßstimme der linken Hand parallelisieren.
c2 und eine (verminderte) Terz tiefer sogleich nochmals vom ais1 zum h1. Eben diese Umschreibung eines Tones mit seiner oberen und unteren Nebennote bestimmt den Überleitungsabschnitt in Takt 12/13: fis1 - g1(!)-e1-fis1. (Noch deutlicher wird diese überleitende Vermittlung in Takt 50 ff.: dort ist der Überleitungsteil harmonisch anders disponiert und schließt mit den Tonhöhen [neapolitanisches] d2 gefolgt von his1 und cis2, d. h. genau jenen Tonhöhen, mit denen dann der Seitensatz beginnt.)

Es ist hier nicht der Ort zu diskutieren, inwieweit der Abschnitt Takt 23–42 Elemente aufweist, die man durchführungsartig benennen könnte92

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In Stichworten: Beginn der Durchführung mit dem transponierten Hauptsatz, Halbschluß, Auflösung der Faktur einhergehend mit Elementen der Abspaltung von Melodieteilen usw.
. Im Zusammenhang mit dem Thema Quintfallsequenz ist aber ein Vergleich der Überleitungsteile weiterführend. In der »Exposition« hatte der Überleitungsteil modulatorisch nur einen geringen Weg – der von E-Dur über E-Moll nach H-Dur. Der Rückweg zur Tonika-Tonart Cis-Moll geschah ja abschnittsweise und über den gesamten Expositionsteil (inklusive des Beginns bzw. der gesamten »Durchführung«). Da nun aber in der »Reprise« das Seitenthema sofort in Cis-Moll anschließt, mußte Beethoven rasch von E-Dur zu dieser Tonart übergehen: Dies geschieht in der Weise, daß nun nicht mehr nach E-Moll vermollt wird, sondern direkt in E-Dur fortgefahren wird, wobei der Themenkopf sogar sich als eine direkte Umformung von Cis-Moll in die Paralleltonart erweist. (Der Auftakt in Takt 10, das g1, war die Terz des E-Moll-Klanges, seine Entsprechung h1 in Takt

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