Aber nicht nur die Quasi-Quintfallsequenz zu Beginn macht die Besonderheit der Form
dieses Satzes aus. Die zentrale Idee des ersten Teils besteht nämlich darin, daß die drei
Quintfälle cis- fis, fis- h, h-e des Themas nun im weiteren Verlauf durch modulatorische
Bewegung in Quintschritten aufwärts wieder rückgängig gemacht werden, und zwar auf
sehr eindringliche Art: jeder Formteilabschnitt vollzieht einen solchen Schritt: Takt
10–15 geht von E-Moll nach H-Moll, Takt 15–23 von H-Moll nach Fis-Moll und Takt
23–42 von Fis-Moll zurück zum Ausgangspunkt Cis-Moll. Akzeptiert man diese Idee
als zentral, so lassen sich eine Reihe weiterer struktureller Sachverhalte der
Komposition davon ableiten. Da ist zunächst das ästhetische Postulat, daß
bei einer derartigen mehrfachen Wiederholung modulatorischer Beziehungen
im Gegenzug die konkrete Ausführung der Modulation möglichst differenziert
erfolgt. Der ans Thema sich anschließende Abschnitt ist denn auch recht komplex
gestaltet 88
Eine einfühlsame harmonische Analyse der Modulation an dieser Stelle findet sich bei de la
Motte, a. a. O. (s. Anm. 5), S. 159.
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Er nutzt den Sachverhalt aus, daß die Ausgangstonart Cis-Moll mit der Zieltonart des
zweiten Abschnittes H-Moll stufenweise benachbart ist. Die von Beethoven gewählte
Lösung besteht in einer chromatischen Interpolation: der Cis-Moll-Akkord in
Grundstellung und Quintlage von Takt 5 und 7 steht in Beziehung zum C-Dur-Akkord
der gleichen Umkehrungs- und Lagenform von Takt 12 und zum H-Moll-Klang mit
denselben Parametern in Takt 13 bzw. 15. (Jedem dieser Akkorde geht zudem
charakteristischerweise jeweils eine Dominante mit unterschiedlichen Umkehrungsformen
voran.) Daß hier ein Dur-Akkord interpoliert wird, hat nicht nur mit der tonalen Ferne
eines C-Moll-Akkordes in Cis-Moll zu tun, sondern fügt sich ein in eine weitere
stückespezifische harmonische Eigenheit der Sonate: die zentrale Bedeutung, die
dem neapolitanischen Sextakkord bzw. der Tiefalteration der II. Leiterstufe
zukommt 89
Vgl. dazu Bernd Edelmann, a. a. O. (s. Anm. 76) sowie Roswitha Schlötterer-Traimer,
Musik und musikalischer Satz. Ein Leitfaden zum Verstehen und Setzen von Musik. 1.
Beschreibender Teil. 2. Arbeitsteil, Regensburg: Bosse 1991 (= bosse musik paperback; Bd.
45/1 u. 45/2), Teil 1, S. 39–42.
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(Der Neapolitaner von H-Moll hat bekanntlich die Tonhöhen eines C-Dur-Dreiklanges.)
Der nun folgende Abschnitt, der in Takt 15 in H-Moll beginnt, hat im zweiten bzw. dritten
Teil des Satzes eine direkte Entsprechung: Takt 51 beginnt, wenn auch in Cis-Moll, auf
genau die gleiche Weise. Dies erlaubt im Rahmen der Deutung der Form als
Sonatensatz90
Insbesondere wenn man – wie für die Anfänge der Wiener Klassik durchaus sinnvoll – diese
Form eher über die Harmonikdisposition denn über die Gegensätzlichkeit der Thematik
definiert.
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hier von einem Seitensatz zu sprechen: als von einem Formabschnitt, der in der
Exposition in einer andern als der Grundtonart steht und bei seiner Wiederholung in der
Reprise dann in die Grundtonart zurückversetzt wird. Daß hier die Nicht-Tonika-Tonart
H-Moll bzw. H-Dur ist und nicht die ansonsten in Mollstücken übliche Paralleltonart,
also E-Dur, ist so fernliegend nicht. Ein Hauptsatzthema, das sich sofort nach E-Dur
wendet, hätte gerade ein H-Dur als reguläre Seitensatztonart.
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