- 273 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Dur-Startklang in Takt 35 modulierend über D7 und G7 nach C7 in Takt 39, wobei dieser Septakkord mit bereits großer Septime den tonal sequenzierenden Teil eröffnet, der für insgesamt weitere 9 Quintfälle in C-Dur, der Haupttonart, verbleibt. Eine derart über einen kompletten Durchgang von mehr als 7 Quintschritten hinausgehende tonale Sequenz wird außerhalb von Harmonielehrebüchern und Übungsstücken wohl kaum in einem anderen Werk von ästhetischen Anspruch anzutreffen sein. Daß Chopin zu dieser extensiven Ausformung einer Quintfallsequenz greift, die hier zudem mit einem exemplarischen C-Dur verknüpft ist, ist eine nahezu ironische, czerny-hafte Auskomponierung der Idee einer Klavieretüde. Zur ästhetischen Elaboration dieses »Mechanik«-Teiles dient die Diminution des harmonischen Rhythmus nebst einer verkürzenden Verschachtelung der Figuration50
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Die zweite Hälfte des Taktes 42 ist die einzige unpedalisierte Stelle des Werkes. Sie ist zugleich jene Stelle, ab der die Verkürzung eintritt, und sie ist mit einer Crescendo-Angabe versehen. (Daß die Urfassung – vgl. Anm. 36 – gänzlich auf Pedalisierungszeichen verzichtet, heißt nicht, daß keinerlei Pedal verwendet werden sollte.)
in den Takten 42 ff. Die damit verbundene Verlagerung der Figurationen der rechten Hand ausschließlich in den oberen Bereich der Tastatur sowie die Beschleunigung ihres Oszillierens ist vom Formsinn her als Schlußmoment zu deuten, nämlich jenes Schlußteiles unmittelbar vor der Reprise. Dieser beschließende Teil hat – und darin ist er vergleichbar mit dem Schlußteil des Bach-Präludiums – ein Aufbrechen des bisher unveränderten Gestaltverlaufes der rechten Hand: statt des kontinuierlichen Auf-und-Ab ein zweimaliges ausschließliches Abwärtsführen der rechten Hand (verbunden mit den beiden einzigen Viertelpausen des gesamten Stückes). Auftaktakkord zur Reprise ist bei Chopin allerdings nicht die Dominante von C-Dur (auch wenn diese für die Dauer eines Viertels in Takt 48 erklingt), sondern die große Obermediante E-Dur. (Analog wurde dieser Akkord ja auch als Zielakkord des ersten Quintfallsequenzteiles verwendet, und er erscheint wiederum als Zielakkord in der Reprise, mithin nimmt er jenen Platz ein, den bei Bach die Tonart G-Dur innehat.) Diese Obermediante wird harmonisch erreicht durch eine doppelte Alterierung des Septakkordes der VII. Stufe, die so zu deren Dominante H-Dur wird.

Zwei Bemerkungen zum Reprisenteil und der Coda seien erlaubt, auch wenn diese nicht mehr in unmittelbarem Zusammenhang mit der These von der Gestaltungsvariabilität der Quintfallsequenzen stehen. Erstens: im Sinne des Formgesetzes von der variierten Wiederholung ist dieser Abschnitt dennoch lesbar: Den Takten 1–24 (C-Dur-Kadenz und Gang nach E-Dur) entsprechen die Takte 49–66, ihre Variierung ist eine der verkürzenden Verdichtung. Die Reduktion von 24 auf 18 Takten erfolgte dabei im wesentlichen erst nach 15 Takten weitestgehender Übereinstimmung, d. h. ab Takt 63. (Da eine Reprise als solche ja erst bei weitgehender Identität mit dem Exponierten kenntlich wird, ist eine solche


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