- 270 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Chopin im Unterschied zum Bachschen C-Dur-Präludium der Endfassung eben keinen »echten« fünfstimmigen Satz schreibt41
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Auch bei Bach – siehe die unmittelbar folgende Ausführung – besteht keine unmittelbare klangliche und stimmführungstechnische Notwendigkeit dafür, es ist vielmehr ein Surplus, der sich für den Anfang der berühmten Sammlung empfahl, so wie die zugehörige Fuge als eine fast reine Durchführungs- und Engführungsfuge von den übrigen Paaren abhebt: »reiner« Choral und »reine« Fuge.
, sondern über weite Strecken einen harmonisch nur vierstimmigen, bei dem eine der Stimmen eine – ihrerseits eben nicht »verbotene« – Oktavverstärkung erfährt. So ist z. B. in jedem Viertel der Takte 9–24 ohne Ausnahme das jeweils zweite Sechzehntel vom jeweils vierten eine Oktave entfernt.

Weiters – und dies betrifft sowohl die Frühfassung des Bachschen Präludiums wie auch die Chopin-Etüde – gälte das Verbot von Oktavenparallelen (respektive Quinten) im strengen Sinne ja höchsten für das Konstrukt des zugrundeliegenden Akkord-Chorals, nicht für den tatsächlich erklingenden arpeggierten Satz, der ja »real« zweistimmig ist.

Immerhin läßt sich im Chopinschen Werk, das vor allem aufgrund des raschen Tempos stärker noch als das Bach-Präludium verbotene Parallelen der Akkordgrundlage »hörbar« macht, beobachten, daß »verbotene« Quinten der Urfassung für die Endfassung getilgt wurden. So z. B. in Takt 4, wenn im letzten Viertel das e1 zum d1 geändert wird, da möglicherweise die Parallele vom e1 - a zum d1 - g des ersten Viertels im nächsten Takt stört; ebenso im letzten Viertel von Takt 5: das h3 könnte zusammen mit dem e des Basses als Quinte zu a3 - d im ersten Viertel des Folgetaktes gehört werden und wird daher vorzeitig in ein a3 geändert42

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Vgl. Kinzler, Frédéric Chopin . . . , a. a. O. (s. Anm. 34), S. 28.
.

Ein weiterer Einwand wäre, daß Chopin zwar die Parallelen im Zusammenhang mit dem F7-Akkord beseitigt, nicht aber jene mit dem B7-Klang: die Baßstimme Ces-B verläuft ja noch immer in parallelen Oktaven zu einer der Oberstimmen, nämlich diesmal zum Tenor. Gegen diesen Einwand könnte – reichlich spitzfindig – vorgebracht werden, daß hier keine Oktavparallelen, sondern eine Oktavverstärkung (mit gleichzeitige Reduktion der für die Harmonik relevanten Stimmenzahl von 5 auf 4) vorliegen. Chopin führt nämlich (vierte Zeile des Notenbeispiels), den B-Dur-Septakkord nicht in einen Es-Dur-Septakkord weiter, sondern in den A-Dur-Dreiklang. Die dazu erforderliche Umdeutung eines Septakkordes in eine übermäßigen Quintsextakkord – Musterbeispiel einer enharmonischen Modulation – wird von Chopin sogar in der Notation explizit gemacht: dieser Takt erfährt nämlich ebenfalls eine Verdoppelung seiner Dauer und das as des ersten Taktes wird im zweiten als gis notiert. Zugleich, obwohl dies selbst in den Augen des gestrengsten Harmonielehre-Schulmeisters nicht erforderlich wäre, sind die »erlaubten« »Mozart-Quinten«, die bei einer regulären Fortführung entstehen – die von B - F nach A - E –, beseitigt: Die Quinte B - F wird zunächst zur übermäßigen Quarte B - E, bevor die nächste Quinte den Satz


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