| | | auf die metrische Gruppierung eine Verkomplizierung
darstellt32
Siegfried Hermelink eskamotiert in Notenbeispiel 3 seiner Studie Bemerkungen zum ersten
Präludium aus Bachs Wohltemperiertem Klavier (in: Zum 70. Geburtstag von Joseph
Müller-Blattau, hg. von Christoph-Hellmut Mahling, Kassel usw.: Bärenreiter 1966 [=
Saarbrücker Studien zur Musikwissenschaft; Bd. 1], S. 115) diese Verkomplizierung hinweg,
indem er Takt 12 nicht dem zweiten, sondern noch dem ersten Sequenzabschnitt zuschlägt.
So erhält er eine regelmäßige 4 + 8 + 8 Gliederung anstelle der 4 + 7 + 8 Verhältnisse und
kann zugleich einen doppelten Quartfall als Konstruktionsprinzip dingfest machen, wo die
Harmonik eigentlich auf den Quartfall einen Quintfall folgen läßt.
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Der zweite Unterschied besteht in der Akkordmorphologie der Zwischendominanten –
das eine Mal ein gewöhnlicher Sekundakkord der Wechseldominante (Takt 6), das
andere (bzw. die beiden anderen) Male als verminderte Septakkorde, genauer:
Quintsextakkorde (Takt 12 bzw. 14). Weniger der Umstand, daß Bach die Dominanten bei der
Wiederholung im Hinblick auf dieses Detail unterschiedlich gestaltet, erregte das
Interesse, vielmehr ist es der für die Oberstimme sich ergebene mehrfache Quintfall,
genauer: die Quart-Quintfolge e2 - a2 - d2 - g2 - c2 beim ersten Auftreten. Zum
einen läßt dieser Quintfall sich erklären aus der Not der Oktavparallelenvermeidung
beim Übergang von der Frühestfassung zu den späteren Formen. Andererseits reizt
diese Oberstimme dazu, sie als Antizipation des Fugenthemas zu begreifen und so zu
erklären33
So etwa Wilhelm Werker (Studien über Symmetrie im Bau der Fugen und die motivische
Zusammengehörigkeit der Präludien und Fugen des »Wohltemperierten Klaviers« von
Johann Sebastian Bach, Leipzig: Breitkopf u. Härtel 1922 [= Abhandlung der Sächs.
Staatl. Forschungsinstitute zu Leipzig. Forschungsinstitut für Musikwissenschaft; H. 3], S.
4). Die andere Erklärung, die das Zustandekommen der Quart/Quintschrittfolge aus der
Parallelenvermeidung herleitet, hat ihre Stütze in einem analogen Vorgang um Takt 23:
dort ändert, um einen echten parallelenfreien fünfstimmigen Satz zu erhalten, Bach sogar
die Figurationsart (vgl. Kinzler, »Cela ne s’oublie ...«, a. a. O. [s. Anm. 15], S. 15 ff.; in
der Abbildung S. 15 ist bei der Baßnote von Takt 23 vor dem kleinen a ein b-Vorzeichen
nachzutragen). Vgl. auch Anm. 41.
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Chopin kehrt nach dem ersten Quintfallsequenzteil nicht wie Bach unmittelbar zur
Ausgangstonart zurück, sondern setzt wiederholend – dem genannten Formgesetz gemäß
variierend – das Wegschreiten von der Ausgangstonart fort. Von der erreichten
Zwischentonart E-Dur wird zur kleinen Untermediante A-Dur weitergeschritten
(kennzeichnend für das Erreichen einer neuen Zwischentonart ist – wie auch schon zuvor
– das Auftreten des reinen Dreiklangs anstelle der Septakkorde). Im Unterschied
zur ersten Quintfallsequenz, die zwar eine teilweise Chromatisierung erfuhr,
im wesentlichen jedoch tonal war, ist die Quintfallsequenz der nun folgenden
»Wiederholung« – die Takte 25–36 – jedoch real: auf E-Dur folgt A-Dur, D-Dur,
G-Dur, C-dur, F-Dur und B-Dur. Letzterer Akkord, wie alle anderen zuvor
auch als echter Dominantseptakkord (d. h. mit großer Terz und kleiner Septe)
gestaltet, erfährt durch eine enharmonische Umdeutung der Septe as in ein gis eine
Umlenkung in die neue Zwischentonika A-Dur. (Dieser »schräge« Ausstieg
in Takt 33 f. nach Takt 35 f. ist durchaus in Analogie zu sehen zu jenem in
Takt 21 f. nach Takt 23 f.: Takt 22 hätte ja noch notiert werden können als
f - a-ces-es.)
In diesem zweiten Sequenzteil ließ sich Chopin eine Reihe von Verkomplizierungen
einfallen, um jenem Eindruck des »Mechanischen« entgegenzuarbeiten, zu dem regelhaft
gebaute Sequenzen bei so oftmaliger Wiederholung (wie hier |