einer Form mit einer Reprise
(allerdings in der Subdominanttonart) verlängert wurde, ist eher unwahrscheinlich –
notwendig wäre es angesichts der selbstverständlichen Allgegenwart von Reprisenformen
jedenfalls nicht.
Aber auch auf der Mikroformebene ist Wiederholung generierendes Prinzip. Die
Eröffnungskadenz, bei Bach vier Takte umfassend, bildet einen ersten Formabschnitt.
Bei Chopin wird die Eröffnungskadenz nicht nur – wie beim Vorbild – einmal geboten,
sondern sogleich wiederholt – genauer: variiert wiederholt – und als 16taktige Periode
gestaltet21
Eine Art graphische, an den Baumstrukturen der generativen Grammatiken orientiere
Ableitung dieses Abschnittes bietet Kinzler, a. a. O. [s. Anm. 15], S. 20 (in der Zeile a
ist in Takt 1 das a1 in ein g1 zu korrigieren). Überhaupt sind die folgenden Überlegung als
Ausführung dessen anzusehen, was im eben genannten Aufsatz als »Fingerzeige« (1. bis 3.)
angedeutet wurde (a. a. O., S. 21).
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(Daß daneben auch grundlegende Unterschiede in der musikalischen Denkweise bestehen,
braucht wohl kaum unterstrichen zu werden: auffällig etwa der Unterschied zwischen
einem kontrapunktisch entworfenen Verlauf der Außenstimmen der Eröffnungskadenz bei
Bach 22
Sowohl Ober- als auch Unterstimme bewegen sich stufenweise aus der Ausgangslage heraus
und wieder in sie zurück, jedoch kontrapunktisch versetzt.
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und der eher harmonisch-kadenziellen Konzeption des entsprechenden Teiles bei
Chopin 23
Bei Chopin ist der Baß – durchaus im Sinne des weiteren harmonischen Geschehens –
durch fallende Quintschritte charakterisiert: Von c nach F in Takt 1/2 nach 3/4 und – als
ansteigende Quarten – von D über G nach c in Takt 6–10.
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.)
Bei Bach schließt sich an die Eröffnungskadenz sodann eine Fortsetzung
an, die sich in den Bereich der Dominante bzw. der Dominanttonart
bewegt24
Am Beispiel dieses Werkes wurde dem Verfasser klar, daß die Zuordnungen harmonischer
Interpretationen zu musikalischen Strukturen durchaus interindividuelle Unterschiede
aufweisen können. Der Verfasser hat als jemand, der nur über das relative Gehör verfügt,
das Präludium stets in dem genannten Sinne als modulierend angesehen, bis ihm per
Zufall eine Analyse unterkam, die für eine Giesbrechtsche Harmonielehreklausur verfertigt
worden war und das Stück als nicht modulierend ansah (unter entsprechender Verwendung
von Zwischendominanten). Zu vermuten ist, daß Absoluthörer wie die Jubilarin eher dazu
tendieren, Modulationen zu vermeiden und statt dessen eher mit dem Konzept der erweiterten
Tonalität zu arbeiten (das gälte auch für den Absoluthörer Schönberg und sein Konstrukt
der harmonischen Regionen). Grammatisch gesprochen laufen diese Differenzen lediglich auf
eine andere Art der Klammersetzung hinaus.
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Nach der I. (letzter Akkord der Eröffnungskadenz) und VI. Stufe (Sextakkord) geht es
dann quintfallmäßig über die II. (alterierter Sekundakkord) zur V. Stufe (wiederum
Sextakkord), um diese dann mit einer Kadenz zu befestigen. Bei Chopin hingegen erfolgt
im Anschluß an die Eröffnungsperiode sogar eine »echte« Quintfallsequenz (Takt
15/16–23/24): I. Stufe, IV. (Quintsextakkord), VII. Stufe (Dreiklang mit Durchgang im
Baß bzw. Dreiklang gefolgt vom Sekundakkord derselben Stufe), III. und VI. Stufe
(mit den dem vorherigen Sequenzglied entsprechenden Umkehrungsformen).
Die nun zu erwartende II. Stufe (als Quintsextakkord) ist von Chopin bereits
umgeformt zum Ausstieg aus der Sequenz in eine kurzfristige Befestigung der großen
Obermediante, d. h. der verdurten III. Stufe von C-Dur: Die Quinte der VI. Stufe,
das e in Takt 20, wird nicht in den |