- 262 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Vgl. dazu vom Verfasser: »Cela ne s’oublie jamais« oder Das erste Präludium aus Bachs Wohltemperiertem Klavier als Modell für Chopins große C-Dur-Etüde, in: Zeitschrift für Musikpädagogik, 12. Jg. (1987), H. 40 (Mai), S. 11–21, oder in jüngerer Zeit Robert W. Wason, Two Bach Preludes/Two Chopin Etudes, or ,Toujours travailler Bach–ce sera votre meilleur moyen de progresser‘, in: Music Theory Spectrum, 24. Jg. (2001), Nr. 1 (Spring), S. 103–120. Aber auch schon früh Hugo Leichtentritt: »Diese Arpeggiostudie scheint ein Abkömmling des ersten C-dur-Präludiums aus dem Wohltemperierten Klavier zu sein, umgestaltet zu einem die Mittel des neuen Klavierstils vollausnützenden glanzvollen und majestätisch dahinrauschenden Stück.« (Analyse der Chopinschen Klavierwerke, Bd. 2, Berlin: Max Hesse 1922 [= Max Hesses Illustrierte Handbücher Bd. 58], S. 84.)
, ja man könnte sagen, sie sei eine nahezu Takt für Takt erfolgende exakte Transformation des Bachschen Präludiums in ein virtuoses Klavierübungswerk. (Daß manche der Bachschen Präludien sich als Etüden verwenden bzw. mißbrauchen lassen, ist gängige Erfahrung im Klavierunterricht. Allerdings betrifft dies eher etwa das C-Moll- und das D-Dur-Präludium aus dem ersten Band, weniger jenes in C-Dur.)

Das kompositorische Hauptproblem einer Transformation des Präludiums in eine Etüde ist – neben der Umwandlung der »einfachen« Spielfigur des Präludiums in die »virtuose« der Etüde – die Ausdehnung bzw. Erweiterung der musikalischen Substanz des Modells auf ein Maß, das den Erfordernissen einer Etüde entspricht: mit seinen gerade mal 35 Takten16

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Die Vorform des Präludiums a1 (vgl. dazu Alfred Dürr, Johann Sebastian Bach. Das Wohltemperierte Klavier, Kassel usw.: Bärenreiter 1998 [= Bärenreiter Werkeinführungen o. Nr.], S. 99 u. 445) ist sogar noch nahezu 10 Takte kürzer.
wäre dem Aspekt der Übung von Kraft und Ausdauer bei einer Etüde nur unzulänglich Rechnung getragen17
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Bei entsprechender Wahl des Tempos und der Anschlagstärke können allerdings auch schon die 33 Takte des D-Dur-Präludiums aufführungstechnische Schwierigkeiten bereiten.
, zumal das fragliche Werk im Allegro stehen soll18
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Dennoch ist die absolute Aufführungsdauer von Bach-Präludium und Chopin-Etüde bei den heute gängigsten Einspielungen (Bach: M. M. Viertel zwischen 60 und 80; Chopin: Originalmetronomisierung Viertel = 176) nahezu gleich: beide Werke dauern üblicherweise nur wenig mehr als 2 Minuten.
. (Anders lägen die Dinge im Falle einer Transformation in ein »Prélude«19
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Das Chopinsche Prélude in C-Dur, dessen Faktur und harmonische Anlage jedoch weit weniger als die Etüde mit dem Bachschen Vorbild gemein hat, weist fast dieselbe Taktzahl auf, nämlich 34 Takte.
.) Das Formgesetz, das hier die Erweiterung des Umfangs leistet, heißt Wiederholung, genauer: variierte Wiederholung, und zwar auf unterschiedlichen Formebenen. Die auffälligste Änderung ist dabei die Transformation des fraglichen Präludiums mit seiner eher reihenden Form in eine Reprisenform: Chopin schreibt seine C-Dur-Etüde als eine ABA’-Großform20
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Während relativ eindeutig ist, daß mit Takt 49 der Reprisenteil beginnt, kann als Beginn des kontrastierenden Mittelteiles entweder Takt 17 oder aber Takt 25 angenommen werden. Im ersteren Fall ist der Beginn der Coda schwieriger zu identifizieren, in letzterem wäre das Ende der gegen Schluß variierten Wiederholung des A-Teiles mit Takt 66 zu lokalisieren (die anschließende Coda beginnt nach zwei Rückleitungstakten mit Takt 69). Die zweite Formauffassung hätte zudem den Vorteil, daß die drei Hauptteile in etwa gleich lang sind (24 + 24 + 18 [+ 2] + 11).
. Die Reprise beginnt – deutlich schon beim ersten Hören bemerklich – in Takt 49. Daß sich Chopin als Anregung für eine solche Erweiterung diejenige des Bachschen D-Dur-Präludiums zum Vorbild nahm, das ebenfalls von einer reprisenlosen Form, der des Klavierbüchleins für Wilhelm Friedemann, zu

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