zwar einige, aber nicht sämtliche Töne des Modells tonal sequenziert
werden, dazu muß man sich schon ein bißchen in der Harmonielehre-Literatur
umtun. Immerhin weist der Artikel »Sequenz (satztechnischer Begriff)« im neuen
MGG6
SL [= Schriftleitung] (Wilhelm Pfannkuch), [Art.] Sequenz (satztechnischer Begriff), in:
MGG, 2. Aufl., Sachteil, Bd. 8, Sp. 1286–1288, hier Sp. 1287.
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im Gegensatz zu vielen anderen Lexika unter »Arten der Sequenz« darauf hin, daß selbst die
Dichotomie in tonal und real nicht ausreicht, sondern unter dem Begriff modulierende
Sequenz 7
Erstmals relativ ausführlich im Rahmen eines Lehrbuches behandelt Doris Geller die
»Modulation durch Sequenz« (Modulationslehre, Wiesbaden: Breitkopf u. Härtel 2002, 4.
Kapitel, S. 60 ff.).
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sowohl reale als auch nicht-reale Erscheinungsformen versammelt sein können. Derartige
Fallunterscheidungen, die sich um eine exaktere Terminologie bemühen, mögen in der
analytischen wie kompositorischen Praxis von den Betreffenden vielleicht nicht immer
auch sprachlich-terminologisch artikuliert werden, in der Sache aber werden sie
zumindest implizit in der Regel jedoch getroffen. Mehr noch: die Verwendung
der verschiedenen Erscheinungsformen kann geradezu das Formgesetz für die
harmonisch-kompositorische Erfindung werden. Dies sei zunächst an einem Beispiel von
Chopin gezeigt.
1. Quintfallsequenzenfall: Chopins C-Dur-Etüde, op. 10, Nr. 1
Daß die (tonale) Quintfallsequenz eine besonders häufig vorkommende Art
von harmonischer Sequenz ist, braucht wohl kaum erwähnt zu werden. In
ihr sind die Grundtöne der aufeinanderfolgenden Akkorde bekanntlich im
(von »links« nach »rechts« fallenden) Quintabstand. Sind die Grundtöne
zugleich Baßtöne, werden sie zumeist abwechselnd als Quintfall und
Quartanstieg8
Hermann Grabner meint in diesem Zusammenhang: »In Wirklichkeit liegt hier eine
Quartschritt-Sequenz vor« (a. a. O. [s. Anm. 5], S. 94).
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gesetzt. Verbindet man bei zwei aufeinanderfolgenden Akkorden die Oberstimmen gemäß den
üblichen Stimmführungsregeln, insbesondere der des Liegenlassens des gemeinsamen Tones, so
muß man – will man nicht bei abwärtsführender Baßstimme aufwärtsgehende Oberstimmen
erhalten 9
Wer je Klausuraufgaben mit dem Aussetzen von Quintfallsequenzen korrigiert hat, kennt
diese Art Fehler.
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– bei jeder zweiten Akkordverbindung die Regel vom Liegenlassen des gemeinsamen Tones
suspendieren 10
Daß bei Sequenzen auch die Regel von der Richtungstendenz des Leittones und vom Verbot
der Leittonverdoppelung aufgehoben werden kann, wird meist mit der »unerbittliche[n]
Konsequenz dieser [. . . ] Folge« begründet (Grabner, a. a. O. [s. Anm. 5], S. 94). Ähnlich
Halm: »Die Logik der Wiederholung, das Beharren in einer angefangenen Bewegung
besiegt die harmonische Logik, und gestattet harmonisch falsche Stimmführungen und
Leittonverdoppelungen.« (A. a. O. [s. Anm. 5], S. 66 f.) Bei der Verwendung von
Septakkorden in Grundstellung muß bekanntlich auch zur Vermeidung von Stimmkreuzungen
oftmals zwischen vollständigen und unvollständigen Septakkorden abgewechselt werden.
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Auf diese Weise ausgesetzt, stellt sich eine (tonale, aber auch eine reale) Quintfallsequenz
als eventuell mehrfache (tonale bzw. reale) Sequenz eines Akkordpaares |