- 192 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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von Frauen, die es um 1800 bereits wagten, öffentlich als Geigerinnen aufzutreten. Obwohl Musiktheoretiker, Kritiker und Pädagogen immer wieder betonten, dass das Geigenspiel Frauen »übel anstehe« und obwohl es offenbar als ausgemacht männliche oder möglicherweise auch lesbische Musiziergeste26
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Freia Hoffmann, a. a. O. (s. Anm. 17), S. 190 f.
empfunden wurde, ließ sich Regina Strinasacchi nicht einschüchtern. Zu Beginn ihrer Laufbahn mag ihr das Außergewöhnliche ihrer Instrumentenwahl gar nicht zu Bewusstsein gekommen sein. Sie war im Venezianischen Konservatorium della Pietà ausgebildet worden, einem jener Konservatorien, die Frauen in allen Orchesterinstrumenten unterrichteten. Die Frauenorchester, die dort regelmäßig konzertierten, waren eine von allen Reisenden bestaunte Besonderheit. Regina ging nach Beendigung ihres Studiums als etwa 15-jährige auf Reisen, konzertierte 1777 in Frankfurt am Main und traf 1783 in Wien mit Mozart zusammen. Im Gegensatz zum gängigen Mozartbild hat er sich offenbar keineswegs mit naheliegenden Anzüglichkeiten aufgehalten, sondern sie als Kollegin ernstgenommen, für sie die Violinsonate B-Dur KV 454 komponiert und sie eingeladen, bei seiner Akademie am 29. Januar 1784 mitzuwirken.

Zwei Jahre später hörte Leopold Mozart Regina Strinasacchi in einem Salzburger Konzert und äußerte sich in einem Brief an Maria Anna voll Anerkennung. Er schreibt: Mir thut es Leid, daß du dieses nicht grosse, artige, etwa 23 Jahr alte, nicht schandliche sehr geschickte Frauenzimmer nicht gehört hast. Sie spielt keine Note ohne Empfindung, so gar bey der Synfonie spielte sie alles mit expression, und ihr Adagio kann kein Mensch mit mehr Empfindung und rührender spielen als sie; ihr ganzes Herz und Seele ist bey der Melodie, die sie vorträgt; und eben so schön ist ihr Ton, und auch kraft des Tones. überhaupts finde, daß ein Frauenzimmer, die Talent hat, mehr mit ausdruck spielt, als ein Mannsperson.27

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Brief vom 7. Dezember 1785.

Eine liberale, damals seltene Einstellung.

Regina Strinasacchi blieb in Deutschland, heiratete einen Gothaischen Violoncellisten namens Schlick, konzertierte aber bis 1810, also bis ins Alter von etwa 48 Jahren weiter. Sie hatte überdies – ebenfalls um 1800 eine Ausnahme – eine Anstellung in der herzoglich-gothaischen Kapelle.28

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Freia Hoffmann, a. a. O., S. 179 f.

Die Frau, die die Reihe der Musikerinnen um Mozart abschließen soll, wird angeführt, weil wir mit ihr noch einen weiteren Musikberuf kennenlernen, in den Frauen damals unter bestimmten Bedingungen hineinwachsen konnten: den der Instrumentenbauerin. Nanette Stein-Streicher hatte in diesem Beruf noch größeren Seltenheitswert als die Geigerin Strinasacchi; meines Wissens ist außer den Firmen Stein und Streicher nur die Harfenfirma Nadermann in Paris um 1800 kurzzeitig von einer Frau geleitet worden.

Mozart lernte Nanette Stein 1777 in Augsburg kennen. Sie war die Tochter des bekannten Orgel- und Klavierbauers Johann Andreas Stein und galt damals


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