An die Stelle von Polemik und wissenschaftlichem Streit treten bei Sabine Giesbrecht
Gründlichkeit im Nachdenken, Präzision in der Formulierung der eigenen Positionen und
– dies am häufigsten – positive Alternativen, wie sie in der Studienreihe Musik
beispielhaft vorgelegt worden sind.
Welche Rolle dabei ihre prägnante und sorgfältige Sprache spielt, können einige Zitate zeigen, die ich
einem Aufsatz47
Sabine Giesbrecht-Schutte, Musik in Geschichte und Unterricht. Überlegungen zu einer
Neubewertung der Musikgeschichte in den Sekundarstufen, in: Musik und Unterricht, 8. Jg.
(1997), H. 42 (Jan.), S. 46–48.
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entnehme, der 1997 in der Zeitschrift
Musik und Unterricht publiziert wurde, einer
Zeitschrift, die Sabine Giesbrecht übrigens zwei Jahre lang auch als Mitherausgeberin
geprägt hat. Das Thema ist »Musik in Geschichte und Unterricht«, das Anliegen wieder
einmal, Musik aus vergangenen Epochen für jüngere Menschen lebendig und anziehend
zu machen: Zunächst ihre Formulierungen zur gegenwärtigen Unterrichtspraxis und zur
möglichen Auffassung heutiger Schülergenerationen,
[...] es handele sich dabei um verflossenes »Kulturgut«, das längst
gestorben sei und eigentlich nur noch aus Pietät und einem altmodischen
Traditionsbedürfnis zum Gegenstand des Unterrichts gemacht werde. Es
ist ja nicht die Musik von früher, die verstaubt und überholt ist, sondern
es sind tradierte Zugangsformen, die der Beschäftigung mit ihr das Leben
ausblasen.48 Der
Zwang, Kenntnisse dieser Art [z. B. Funktionstheorie und Sonatensatz]
im schulischen Unterricht zu erwerben, wirkt sich kontraproduktiv in
dem Sinne aus, dass gerade die vielschichtigen und aussagekräftigen
Werke zu dürren analytischen Aufgabenfeldern schrumpfen, eine von
Frustration durchzogene Gleichgültigkeit hinterlassen und dadurch in
ihrer Wirkung und Schönheit nicht ausreichend wahrgenommen werden
können. Stimmt man dieser Auffassung zu [und dies ist eine für Sabine
Giesbrecht sehr typische Formulierung], so ist die Konsequenz daraus zu
ziehen49 ,
usw. Und nun kommen, einige Abschnitte später, die Ausführungen zu diesen
Konsequenzen, das Plädoyer für eine kultur- und sozialgeschichtliche Betrachtung:
Diese soll Zusammenhänge zwischen Musik und Leben erkennbar machen
und Teilnahme für sie dadurch erwecken, dass man etwa die biographischen,
gesellschaftlichen, politischen und ästhetischen Umstände ihrer Entstehung
und Herkunft sowie ihre Funktion und Wirkung thematisiert. Diese jedem
Stück innewohnende Vitalität ist sozial attraktiv und lädt dazu ein, Anteil
zu nehmen am Schicksal eines Musikstückes, sich hineinzuversetzen in die an
seiner Entstehung, Aufführung und Verbreitung beteiligten Personen, sich
ihre Wünsche und Hoffnungen zu eigen zu machen und damit, wie Bourdieu
es treffend formulierte [...], in der Phantasie deren Leben zu leben. [...]
An Einzelbeispielen wäre zu zeigen, wie die Menschen zu verschiedenen
Zeiten mit Musik gefeiert und gegessen, getrauert und geliebt, sich Bildung
angeeignet, sich unterhalten oder ihrem Repräsentationsbedürfnis Ausdruck
gegeben haben. Welche »Wahrheiten« oder welche »Unwahrheiten«
vermag eine Musik auszusprechen, auf welche Weise konnte oder
kann sie bis heute beitragen, Menschen zu erheben, zu trösten oder
auch sie anzustiften, einfach mitzulaufen und über gar nichts mehr
nachzudenken?50