- 186 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Trotzdem soll nun der Bezugspunkt Mozartforschung verlassen und im zweiten Teil meiner Ausführungen versucht werden, einige Musikerinnen um Mozart in den Zusammenhang einer musikwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung zu stellen. Erst dann, wenn wir sie nicht mehr, wie gewohnt, um die strahlende Zentralfigur Mozart herumgruppieren, sondern ihnen ein eigenes Bezugssystem zugestehen, werden ihre Leistungen und ihre Bedeutung sichtbar.

Die Mitte des 18. Jahrhunderts markiert den Tiefpunkt in der Geschichte der Selbständigkeit und Bewegungsfreiheit von Frauen. Selbst in Musikerkreise hinein wirkte die neue bürgerliche Forderung, Frauen ganz auf ihre Rolle als Gattinnen und Mütter festzulegen, ihre gesamte Erziehung und Bildung an dieser vorgeblich natürlichen Bestimmung auszurichten. Berufstätigkeit von Frauen hatte in diesem System ebenso wenig Platz wie irgendeine Art von gründlicher Ausbildung. Erst rund 100 Jahre später erzwang die bürgerliche Frauenbewegung eine Diskussion über dieses Thema. Das Musikleben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entspricht diesen Forderungen in fast idealtypischer Weise: Abgesehen von einer Reihe hochqualifizierter Sängerinnen, die sich aus dem feudalen Opernbetrieb herübergerettet haben, treten Frauen in der Musik kaum in Erscheinung. Das öffentliche Konzert wird von Männern bestritten, in den Musikgesellschaften sind Männer unter sich, weder in Berufs- noch in Liebhaberorchestern sind Frauen zugelassen. In vielen Städten werden sie sogar im Publikum abgetrennt, und selbst in der Hausmusik unterliegen Frauen rigiden Beschränkungen. Ihr Können soll ein unteres Mittelmaß nicht überschreiten, und die meisten Musikinstrumente gelten als unschicklich: Ausnahmen bilden nur das Klavier, die Gitarre, die Harfe und die Glasharmonika.

Dass die Geschichte einige Jahrzehnte später berühmte Interpretinnen wie Clara Wieck-Schumann vorweisen kann, dass eine Frau wie Louise Farrenc in Frankreich große Sinfonien komponierte und aufführte, dass im Vormärz mit Lise Cristiani sogar eine Violoncellospielerin Konzertreisen durch Europa unternahm – dies war keineswegs das Ergebnis ideologiekritischer Einsichten oder politischer Korrekturen. Sondern es war eine Folge der Tatsache, dass einzelne Frauen sich über Verbote hinwegsetzten, dass sie Konzertpodien in Besitz nahmen, dass sie immer mehr Musikinstrumente beanspruchten und sich die Musik auch als professionelles Terrain erschlossen. Eine wichtige Rolle haben in diesem Prozess weibliche Wunderkinder gespielt. Für einige Jahrzehnte konnte man in Musikerfamilien noch so tun, als handle es sich bei diesen Mädchen eigentlich um geschlechtslose Wesen, auf die die rigiden Auffassungen über die Natur der Frau nicht zuträfen. Ihre Entsprechung fand diese Praxis in der verbreiteten Lehrmeinung, Kinder besäßen keine Sexualität bzw. sie »ruhe« noch, wenn man sie nicht durch widernatürliche Praktiken vorzeitig wecke.

Es ist daher kein historischer Zufall gewesen, dass die erste namhafte Pianistin der bürgerlichen Musikkultur ein Kind war: Maria Anna Mozart, in der Familie »Nannerl« genannt. Bei ihr nahm man in Kauf, was bei einer erwachsenen Frau problematisch gewesen wäre: ein hohes künstlerisches Niveau (ihr Vater nennt


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