Trotzdem soll nun der Bezugspunkt
Mozartforschung verlassen und im zweiten Teil meiner Ausführungen versucht werden,
einige Musikerinnen um Mozart in den Zusammenhang einer musikwissenschaftlichen
Frauen- und Geschlechterforschung zu stellen. Erst dann, wenn wir sie nicht mehr, wie
gewohnt, um die strahlende Zentralfigur Mozart herumgruppieren, sondern ihnen ein
eigenes Bezugssystem zugestehen, werden ihre Leistungen und ihre Bedeutung
sichtbar.
Die Mitte des 18. Jahrhunderts markiert den Tiefpunkt in der Geschichte der
Selbständigkeit und Bewegungsfreiheit von Frauen. Selbst in Musikerkreise hinein wirkte
die neue bürgerliche Forderung, Frauen ganz auf ihre Rolle als Gattinnen und Mütter
festzulegen, ihre gesamte Erziehung und Bildung an dieser vorgeblich natürlichen
Bestimmung auszurichten. Berufstätigkeit von Frauen hatte in diesem System ebenso
wenig Platz wie irgendeine Art von gründlicher Ausbildung. Erst rund 100 Jahre
später erzwang die bürgerliche Frauenbewegung eine Diskussion über dieses
Thema. Das Musikleben in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entspricht
diesen Forderungen in fast idealtypischer Weise: Abgesehen von einer Reihe
hochqualifizierter Sängerinnen, die sich aus dem feudalen Opernbetrieb herübergerettet
haben, treten Frauen in der Musik kaum in Erscheinung. Das öffentliche Konzert
wird von Männern bestritten, in den Musikgesellschaften sind Männer unter
sich, weder in Berufs- noch in Liebhaberorchestern sind Frauen zugelassen. In
vielen Städten werden sie sogar im Publikum abgetrennt, und selbst in der
Hausmusik unterliegen Frauen rigiden Beschränkungen. Ihr Können soll ein unteres
Mittelmaß nicht überschreiten, und die meisten Musikinstrumente gelten als
unschicklich: Ausnahmen bilden nur das Klavier, die Gitarre, die Harfe und die
Glasharmonika.
Dass die Geschichte einige Jahrzehnte später berühmte Interpretinnen wie Clara
Wieck-Schumann vorweisen kann, dass eine Frau wie Louise Farrenc in Frankreich große
Sinfonien komponierte und aufführte, dass im Vormärz mit Lise Cristiani sogar eine
Violoncellospielerin Konzertreisen durch Europa unternahm – dies war keineswegs das
Ergebnis ideologiekritischer Einsichten oder politischer Korrekturen. Sondern es war eine
Folge der Tatsache, dass einzelne Frauen sich über Verbote hinwegsetzten, dass sie
Konzertpodien in Besitz nahmen, dass sie immer mehr Musikinstrumente beanspruchten
und sich die Musik auch als professionelles Terrain erschlossen. Eine wichtige
Rolle haben in diesem Prozess weibliche Wunderkinder gespielt. Für einige
Jahrzehnte konnte man in Musikerfamilien noch so tun, als handle es sich bei diesen
Mädchen eigentlich um geschlechtslose Wesen, auf die die rigiden Auffassungen
über die Natur der Frau nicht zuträfen. Ihre Entsprechung fand diese Praxis
in der verbreiteten Lehrmeinung, Kinder besäßen keine Sexualität bzw. sie
»ruhe« noch, wenn man sie nicht durch widernatürliche Praktiken vorzeitig
wecke.
Es ist daher kein historischer Zufall gewesen, dass die erste namhafte Pianistin der bürgerlichen
Musikkultur ein Kind war: Maria Anna Mozart, in der Familie »Nannerl« genannt. Bei
ihr nahm man in Kauf, was bei einer erwachsenen Frau problematisch gewesen wäre: ein
hohes künstlerisches Niveau (ihr Vater nennt