- 183 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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schwache, passive und subalterne Natur der Frau gelten: Musikerinnen, die eine fundierte professionelle Ausbildung genossen hatten, die ihre körperliche und geistige Leistungsfähigkeit tagtäglich unter Beweis stellten, die viel Geld verdienten und sich mit großer Selbstverständlichkeit in der Öffentlichkeit bewegten. Viele der Sängerinnen, für die Mozart komponierte, sind namentlich bekannt: Caterina Cavalieri war die erste Mademoiselle Silberklang im Schauspieldirektor und die erste Konstanze in der Entführung aus dem Serail. Teresa Saporiti, Sopranistin in Prag, kreierte im Don Giovanni die Donna Anna. Bei der Wiener Erstaufführung des Don Giovanni sang Mozarts Schwägerin Aloysia Weber diese Partie. Ihre Schwester Josepha Weber-Hofer, ebenfalls Koloratursopranistin, war die erste Königin der Nacht; später sang sie im Don Giovanni die Elvira und im Figaro die Gräfin. Für Nancy Storace komponierte Mozart die Konzertarie Ch’io mi scordi di te KV 505, und sie war die erste Susanna im Figaro.

Von den respektlosen und oft herabsetzenden Formulierungen, mit denen diese Musikerinnen in der Mozartbiografik bedacht werden, möchte ich nur ein Beispiel vorstellen: Wolfgang Hildesheimers Bemerkung über Anna (Nannina) Gottlieb. In der Uraufführung des Figaro 1786 an der Wiener Hofoper, in einer nach Aussagen von Zeitgenossen erstklassigen Besetzung, sang sie, damals zwölf Jahre alt, die Rolle der Barbarina. Wolfgang Hildesheimer, dessen Mozart-Biografie als Durchbruch zum modernen Mozart-Bild gerühmt wird, schreibt über sie: Ihre zauberhafte kleine f-Moll-Cavatine [...] handelt zwar von einer verlorenen Schmucknadel, könnte aber ebensogut von ihrer allzu früh verlorenen Unschuld handeln. Man fragt sich, was sich wohl ihre erste Sängerin, die zwölfjährige Nannina Gottlieb, dabei gedacht habe. Wer weiß, vielleicht war auch sie ein kleines Luder. Später trat sie der Schikanederschen Truppe bei, was nicht bedeuten muß, daß die Rolle der Pamina, deren erste Verkörperung sie war, sie geläutert hätte.7

7
Wolfgang Hildesheimer, Mozart, Frankfurt a. M. 1980, S. 196.

So entstehen Geschichtsbilder: Auf dürftigen Informationen wuchert umso blühender die Fantasie. Wir wissen immerhin von Anna Gottlieb, dass sie nach ihrem Engagement im Schikanederschen Ensemble noch 37 Jahre als Sängerin und Schauspielerin im Leopoldstädter Theater gearbeitet hat und schließlich auf die stattliche Zahl von 44 Berufsjahren zurückblicken konnte.8

8
Ursula Mauthe, Mozarts »Pamina« Anna Gottlieb, Augsburg 1986.
Aber für diese Lebensleistung hat sich Hildesheimer ebenso wenig interessiert wie für das professionelle Können von Barbara Gerl, der ersten Sängerin der Papagena. Von der Entstehung der Zauberflöte wissen wir vergleichsweise wenig, um so ungenierter lassen sich solche Leerstellen mit Anekdoten füllen: Schikaneder soll Mozart mehr als eine Woche lang, natürlich unter Lieferung genügend leiblicher Erfrischung, zu denen, der lockeren Legende nach, auch noch zeitweilig Barbara Gerl [...] gehört


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