In
Portugal war 1910 die Republik proklamiert worden – daher das Stichwort im
Bild.
»Dreibund« (etwa in der Bildmitte) meint das 1882 zwischen Deutschland, Österreich
und Italien geschlossene Bündnis. Im Gegensatz zum geradezu kampfeslustig
breitbeinig stehenden Deutschen sitzt der durch die Aufmachung als Franz Joseph II.
charakterisierte Österreicher. Bereits bei der Verlängerung 1902 schloß aber Italien
einen bündnisgefährenden »Rückversicherungsvertrag« mit Frankreich. Dennoch
wurde der Dreibund 1912 nochmals erneuert. Italienische Artillerie schießt mit
Schrapnells Richtung Afrika: wegen der italienischen Annexion von Tripolis und
der Cyrenaika entstand ein bis 1912 dauernder Krieg mit der Türkei. Dabei
wurde auch der Dodekanes in der Ägäis besetzt – ein weiterer Italiener sitzt auf
»Griechenland«.
Der statisch merkwürdig sitzende Russe mit Säbel und Knute ist möglicherweise der
reaktionäre Ministerpräsident Stolypin, der 1911 in Gegenwart des Zaren ermordet
wurde; die explodierende Granate würde dann auch ihm gelten. Auch anderswo saßen
die Mächte des Rückschritts nicht mehr fest im Sattel. Unter der Führung Sun Yat-Sens
war in China eine bürgerliche Revolution erfolgreich; die Mandschu-Dynastie
dankte ab und China wurde Republik. Andrerseits wurde 1910/11 die bürgerliche
Revolution in Persien nach wechselvollem Geschick endgültig im Dezember 1911
besiegt.
Die Glückwunschkarte ist zeichnerisch karikaturistisch angelegt und ohne allzu große
technisch-ästhetische Kunstfertigkeit ausgeführt. Der in ihr objektivierte politische
Standpunkt ist nicht ganz eindeutig. Politik erscheint als Außenpolitik, und dabei
vorwiegend als Mischung von Kanonenbootpolitik und Massenabschlachten. Das
militärische Paradigma dominiert. Der dennoch glaubhafte Friedenswunsch wird freilich
schon dadurch ziemlich relativiert, daß »der« Deutsche geradezu überdeutlich im
Zentrum steht. Ein entgeisterter, ja entsetzter Nikolaus am linken Bildrand (vom
Betrachtenden aus) sowie zwei Engelsköpfe, die aufzuschreien scheinen, reagieren auf all
die Geschehnisse im Bild, und korrespondierend als Ritter-Äquivalent Tod und Teufel am
rechten Rand: der Teufel grinst diabolisch, und der geflügelte Sensenmann mäht Fleisch,
das wie Gras scheint, gerade in Afrika, aber, soweit sich die Köpfe zuordnen lassen,
international gemeint.
Den dissonanten Ton zum ebenfalls mißtönenden internationalen »Konzert« liefern
Glocken und Kanonen – die bekanntlich ineinander verwandelbar sind – als
Friedens- und Kriegssymbole: Rechts oben zwei große Glocken und ein großes
Kanonenrohr samt platzender Granate in comic-artiger Technik parallel zur
Bilddiagonale; in der Mitte, ebenfalls parallel, zur andern Diagonale, noch ein
Maschinengewehr bzw. eine Mitrailleuse, die Schrapnells verschießt. Die kriegerischen
Instrumente haben also das Übergewicht; der Kanonendonner als Vorschein der
Materialschlachten des kommenden Kriegs übertönt das Glockengetön. Angesichts der
Weihnachts-Zuordnung ist zu vermuten, daß dieses noch nicht Sturmglocken meint
sondern noch Friedensgeläute.