leuchtend gelbe,
lorbeerumkränzte Sonne mit der roten Inschrift »1915« – kein sehr vielversprechender
Sonnenaufgang bei solchem Hintergrund. Man neigt fast dazu, solche Düsternis für
verdeckte (kritische) Absicht zu halten, bedenkt man die meisterhafte Miniatur der
Dorfkirche im Hintergrund, die ihr Licht ganz flach über die Feldflur von rechts, also
in kartographischer Perspektive deutlich von Osten her, erhält; das Grün als
Komplementärfarbe macht den kleinen hellen heimatlichen Fleck in der Finsterheit umso
leuchtender. Die sonstige Gestaltung wie die Stofflichkeit lassen freilich von Kritik nichts
erkennen. Im Vordergrund, auf schwarzem Boden, kniet ein Ritter in voller
Blechmontur, den Helm ab zum (anscheinend stummen) Gebet, neben sich
eine Fahnenstange mit Schwarz-Weiß-Rot. (Der Ritter ist natürlich blond und
bärtig.)
Klanglich läßt sich in diesem pars pro toto einer Feldmesse sowohl der Glockenklang da
lontano von der Dorfkirche imaginieren wie, sozusagen aus dem Off, so etwas wie z. B.
Ich bete an die Macht der Liebe; dergleichen west fort etwa bei provozierenden,
programmatisch »feierlichen« Bundeswehrgelöbnissen oder ähnlichen post-pubertär
verspäteten Initationsritualen. (Andre Länder, andre Sitten. Aber keine besseren, wie
etwa der Gebets- und Flaggenkult schon im Schulsystem der USA zeigt.) Die
Verbindung von Mittelalter-Mythologie und Materialschlacht, von Massenmord und
pseudoindividualistischer Ritterromantik, von Sakralität und Materialschlacht-Massaker
hat schon als besonders widerwärtig Karl Kraus etwa in Die letzten Tage der Menschheit
sarkastisch behandelt.
Eine ganze politische Informations- bis Propagandaschrift in Bildform enthält ein
bemerkenswerter Lichtdruck »Weihnachten 1911« (Abb. 54; siehe Abbildung S. 176).
Der eigentliche Titel ist skeptisch: »Friede auf Erden?« (Schönberg hatte 1907 anläßlich
ähnlicher Krisenzusammenballungen sein bis auf das Fragezeichen gleichnamiges
Chorwerk nach C. F. Meyer komponiert.) Das Fragezeichen kehrt vergrößert im Atlantik
wieder. Hauptthema sind Imperialismus/Kolonialismus.
Exakt im Schnittpunkt der beiden Bilddiagonalen steht der rechte Fuß des
deutschen Michel: in Uniform, mit Gewehr und Pfeife, aber auch der Zipfelmütze;
dazu ein Boot unter dem Arm, das u. a. auf den dümmlichen wilhelminischen
»Panthersprung« verweist, zudem auf die Auseinandersetzungen um die Marinerüstung:
der britische John Bull, in Marineuniform, hält nämlich gleich zwei Schiffe
unter den Armen. Die Entsendung eines Kanonenboots nach Agadir führte
1911 zur Zweiten »Marokkokrise«. Sie wurde so beigelegt, daß das Deutsche
Reich auf Einfluß in Marokko verzichtete, dafür einen Teil der französischen
Kongo-Kolonien erhielt – daher beim Schiff links unten die Stichworte »Berlin /
Kongo / Heimkehr«; »Kongo«, als wäre es nicht genug, auch noch neben dem
Schiff des Michels sowie bei der Personifikation Frankreichs »Marokko«. Spanien
hatte seinerseits 1904 mit Frankreich einen Marokko-Vertrag abgeschlossen.