Sie selbst hat die vielfache Größe der Flaschen und Männer – also einmal mehr das
altehrwürdige Verfahren der Bedeutungsperspektive, in der Größenverhältnisse den
(sozialen) Rang abbilden. Es ist eine Magna Mater, in der noch jugendlichen
Erscheinungsform etwa als Artemis oder Aphrodite.
Die Herren mit Frack und Zylinder auf jedem Flaschenflugzeug beziehen sich auf die
Dame im Zentrum – bis auf einen. Denn der erste links im Hintergrund ist mit
Festhalten und Steuern allein schon voll beschäftigt; vielleicht sagt er etwas – das ist
aber nicht zu entziffern. Der zweite, links vorn, lüftet höflich grüßend den Zylinder. Der
dritte, rechts in der Mitte, geht schon einiges weiter und offeriert ihr, der Drastik halber
sehr überdimensioniert dargestellt, einen perlenbesetzten Ring. Der vierte und
vorletzte, rechts hinten, riskiert mehr, zwar nicht vom Vermögen, aber vom
Leben. Denn er kniet seitlich auf dem Flaschenflugzeug, haltlos, mit fliegenden
Frackschößen und flehend zur Angebeten erhobenen Armen und Händen. Sie bleibt
ungerührt, verharrt in freundlicher – ein Lächeln ist angedeutet – Flaubertscher
impassibilité.
Eines der Seile oder Bänder bleibt ohne Flugkörper bzw. hat nur ein verborgenes
unbekanntes Flugobjekt. Der fehlenden Flasche entspricht jener Herr, den die
Zentraldame in der linken Hand hält; weniger anmutig wie die Gesamtkomposition als
vielmehr fast angeekelt, mit spitzen Fingern am Hosenboden, so, als hätte jener vor
Angst bereits in diese gemacht. Wie die Contenance, so ging auch der Zylinder bereits
unauffindbar verloren; im Bild gibt es keine Spur davon. Abgesehen von dem Anfassen
mit spitzen Fingern ist das die Ikonographie des Ogers, der hier nun freilich in
weiblicher Gestalt anstelle des in der Regel männlich vorgestellten Menschenfressers
erscheint. Es ist der Aspekt des »männermordenden« Vamp, eine Inkarnation
männlicher Ängste und Lüste, bis hin zur Vagina dentata, verwandelt ins Ganze des
»Weibes«.
Manifeste Hochschätzung und Unterwerfung haben freilich ihre etwas verdecktere
Kehrseite. Die Frau herrscht, indem sie sich zum Objekt männlicher Begierden macht.
Sie hält das Kettenkarussell in Schwung, indem sie den Drehzapfen bildet. Daß trotz der
Vielschichtigkeit der Bilderfindung hierbei der Graphiker an jene Sirene dachte, die in
der platonischen Fassung der Vorstellung von der Sphärenharmonie die Sphären in Gang
hält, ist eher unwahrscheinlich.
Die Ambivalenz in den Geschlechterverhältnissen eines fin de siècle geht noch weiter.
Einen nochmals anderen Sinn erhält die Karte, wenn wir den Adressatenbezug
mitbedenken: die Karte aus Wien gilt einer Adressatin in Wien, einem Fräulein. Die
Devotion hat also eine praktisch-pragmatische Dimension. Was nach Annahme der
Unterwerfung folgen würde, ließe sich nur spekulativ ausmalen. Viel Gutes von solch
sadomasochistisch getönter Erotik ist jedenfalls kaum zu erwarten.