Bei Neujahrsglückwünschen 1915 (Abb. 76), einem namentlich ausgewiesenen Entwurf
der Wiener Werkstätten, und zwar von einer Frau (Maria Likartz-Strauß), ist das
gesamte Bild bis zum Rand bzw. sogar darüber hinaus – Haare wie Schuhe und Rock
sind angeschnitten – von einer Frauenfigur erfüllt. Sie trägt einen grün und schwarzen,
weiten Glockenrock mit großen Karos, abwechselnd mit grünen Streifen oder
Blumen. Ein breiter schwarzer Spitzenrand bildet den unteren Abschluß; dazu
eine eng anliegende Bolero-Jacke. In die dichten schwarzen Haare mit einer
überlangen Stirnlocke ist etwas Rot hineingeflochten. Das alles erzeugt den
Gesamteindruck einer spanischen bzw. andalusischen (Flamenco-)Tänzerin. Sie
bleibt allerdings statuarisch: Ausstellung des – hier verhüllten – Körpers statt
tänzerisch-theatralischer Vorstellung. Denn der Clou des Bilds ist weniger der
exotistische Kolorit als vielmehr das Glücksschwein als sehr kleines Ferkelchen. Sie hält
es so in dem hocherhobenen und abgewinkelten rechten Arm, daß es exakt der Gestik
des Bizepsanspannens zeigt, das Ferkelchen damit als Organprojektion des
besagten Bizeps wirkt. Body building ante letteram, eine muskulär starke Frau, zu
der einem freilich auch der Schluß eines Witzes einfällt: »Hier hat’s, aber da
fehlt’s.«
Neujahrsglückwünsche von 1899 (Abb. 62) zeigen in der Mitte eine brünette Dame, mit
starker und stark dekolletierter Oberweite, dafür armlangen Handschuhen, die einen
vergoldeten Rheinweinpokal zuprostend hochhält: »Hoch das Jahr 1900«. Sie gehört
samt neckischen Schmetterlingsflügeln durch Kleidung wie Gestus eindeutig zu jener
Sphäre, die seinerzeit nicht nur den Professor Rath Heinrich Manns unwiderstehlich
anzog. (Aktuelle Typen wie die vielfachen Zusammensetzungen mit -»Luder«, ob
»Boxen«-, »Party«-, »Teppich«- usw., durch Boulevardpresse und Fernsehen
verbreitet, sind auch nicht besser, sondern nur weitaus vulgärer, dafür aber billiger
und formell demokratisiert.) Kontrastierend dazu sehen wir links im Bild –
ausgerechnet – eine Kirche mit hellerleuchteten Fenstern in einer schneereichen
Winternacht, drei Kirchgänger auf dem Weg dahin, zwei bereits in der offnen Tür, die
sich offensichtlich diesmal nicht für den Tingeltangel entschieden haben. Die
Glocke schlägt 12 Uhr. Rechts, ebenfalls mit hellerleuchteten Fenstern, eine Art
Schloß, zwei Rehe auf dem Weg davor, das große Gittertor geschlossen. Die
Glocke auf dem Turm ist sichtlich nicht in Bewegung – ausnahmsweise (und fast
rätselhafterweise) ist hier ein Klanggerät deutlich präsentiert, spielt aber gerade
nicht.
Fast als femme fatale zeigt ein farbiger Lichtdruck mit Neujahrsglückwünschen 1912
(Abb. 68; siehe Abbildung S. 172) eine Dame, tief dekolletiert. Der tänzerische Schritt ist
so intensiv, daß sich das lange Kleid einschließlich der Rüschen darunter weit ausbauscht,
und an der andern Seite eng am Körper anliegt. Integriert in die tänzerische Bewegung
schwingt sie an der rechten Hand vier Seile wie eine Marionettenspielerin und zugleich in
der Art eines Kettenkarussells um sich selber herum. An den Seilen sind vier
Sektflaschen befestigt. Propeller vorne und Lenkräder weisen sie als Flugzeuge aus;
darauf sitzen Männer.