- 167 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Ast spielen ausgerechnet zwei Maikäfer Pauke und Trompete. Auf einer Steinbank unter der Birke zupft ein Junge die Laute. Seine Kleidung erscheint einerseits als längst passé: Kniebundhose, Seidenstrümpfe und Schnallenschuhe, kurze schleifenartige Krawatte, dazu ein breiter schalartiger Gürtel. Abgesehen von der barettähnlichen Kopfbedeckung paßt das zum Spanischen Habit und Kolorit. Die Karte mischt also Historizismus und Exotismus. Andrerseits verweisen Instrument und Aufmachung fast auf Künftiges: Hans Breuers Zupfgeigenhansl erschien dann erstmals 1909.

Das dazu ungefähr passende Mädchen dagegen ist eher up to date gekleidet mit Strohhut, großer Schleife und kurzem, praktischem Kleid, darunter ein Hosenrock, unterm Knie geschnürt – fast wie bei einem Fahrradkostüm. Obwohl der Kopf unproportional viel zu groß ist, fast wie bei einem Kleinkind, hat sie unkindliche Züge. Sie dirigiert mit einem ziemlich großen Stock, den sie fast mittig hält, als ein Stück Frauenemanzipation – freilich vor allem die beiden Maikäfer. Zu diesen blicken beide Geschlechter hinauf. Daß sich Maikäfer durch große Fruchtbarkeit und periodisches Massenauftreten auszeichnen, kann ein nicht bewußter Subtext sein, der dem Ganzen eine zusätzliche Färbung gäbe.

Die Szene »Unter dem Weihnachtsbaum am Hl. Abend« von 1897 (Abb. 53) hält, was der Titel verspricht. Das Mädchen spielt mit der schönen Puppenstube, das Baby auf dem Arm der Mutter, die der Vater liebevoll um die Schulter nimmt, gestikuliert mit der Rassel dem glänzenden Lichterbaum auf dem Gabentisch entgegen. Auf dem Tisch liegt unter anderem eine Kanone, nicht zuletzt ein potentielles Lärminstrument. Faktisch bereits Lärm macht der Junge, der, auf dem naturalistischen Schaukelpferd sitzend, den Kürassierhelm auf dem Kopf mit maskenhaft-starrem Gesicht, mit der Rechten den Säbel schwenkt, und mit der Linken die Trompete hält, in die er offensichtlich kräftig hineintrötet.

Ad Spectatores: Adressatenbezug und Publikumsaktivierung

Eine Chromolithographie mit Goldprägedruck entfaltet für Pfingsten 1904 eine besonders gelungene schöne Verbindung von Akustischem und Optischem (Abb. 18). In einer Waldlichtung, vor einem Stapel mit geklaftertem Holz, ist auf dem Boden ein Tischtuch mit Wein, Brot und anderem ausgebreitet; dazu ein Paar, er griechisch-römisch halb liegend, sie stehend: ein Dejeuner sur l’herbe, selbstverständlich aber – man spricht Deutsch – ohne Akt, also doch bloß ein Picknick. Die beiden beziehen sich auf jemanden außerhalb des Bilds. Es ist sicher nicht der Messias, auf den in Breughels Bauernhochzeit – als außerhalb des Bildes – der Dudelsackpfeifer blickt9

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So eine Entdeckung der Kunstsoziologin Anabella Weismann.
, sondern es sind Bekannte. Er prostet den unsichtbaren Ankommenden mit erhobenem Glas zu, sie winkt mit dem Taschentuch (im Jargon der Zeit »schelmisch« blickend) und ruft ihnen
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