- 166 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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mischt mit Märchenhaftem immerhin den Topos eines großen Mythos: den nämlich des Orpheus, der die Natur in Bann schlägt.

Neujahrsglückwünsche 1909 (Abb. 69): Ein Kleinkind/Knabe mit kaum angedeuteter Geschlechtlichkeit, fast noch im Flügelkleide, reitet auf einem Steckenpferd. Er bläst auf einem um den Körper geschlungenen Musikinstrument, eine Mischung aus Signalhorn, Tenorhorn, Tuba, Sousaphon. Ventile sind nicht einmal angedeutet. Ausgesprochen kunstvoll ist dagegen die Verflechtung der Stiele der vier vierblättrigen Kleeblätter, die aus diesem Instrument herauswachsen. In ihm vereinen sich Füllhorn der Fortuna, Mutter Natur und Vase. Die intermodale Verschränkung der Sinnesgebiete ist damit ingeniös realisiert. Die Kleeblätter denotieren allegorisch das – im Kartentext auch verbalisierte – »Viel Glück im Neuen Jahre«. Musik scheint Leben zu bedeuten und hervorzurufen. Es sind tatsächlich vier Stengel, die – wie Töne – aus der Instrumentenöffnung herauswachsen, aber so miteinander verschlungen, daß sie als mehr wirken. Da es schwierig ist, den Gang der Stengel im einzelnen zu verfolgen, ergeben sich sozusagen Stimmkreuzungen mit einen ausgesprochen polyphonen Effekt.

Mit Pauken und Trompeten

Neujahrsglückwünsche, 1901 (Abb. 57): Eine winterliche Landschaft am Meer, aber ohne Schnee; ein rosiger Horizont suggeriert den Sonnenaufgang. Als Gesandter, ungeschickter, von rechts nach links geht der Glücksbringer, natürlich ein großes Schwein, am Zaum geführt von einem kleinen Jungen mit postbotenartiger Uniform und ebensolcher Umhängetasche, aber mit nackten Beinen und Füßen, einen gesiegelten Brief bereits in der Hand. Auf dem Schwein sitzt jemand, der ein Mittelding zwischen Neuem Jahr und Fortuna sein dürfte: eine Frau, blond, sittsam im Damensitz seitwärts (sogar ein Sattel ist angedeutet), lange blonde Haare, offenherziges Mieder, dafür die stattliche Büste gepanzert wie Madonna oder eben die damalige Germania, wie sie unzählige Statuen, Bilder usw. der Zeit, vor allem aber die Briefmarkenserie des Deutschen Reichs vorführten.

In der rechten Hand stützt sie sich malerisch auf ein malerisches Schild (eher das Schild als der Schild, der es eigentlich sein sollte), auf dem steht »Viel Glück«. Mit der linken hält sie eine ventillose Langtrompete. Ihr entströmen, mit den üblichen Linien angedeutet, sichtbar Signal-Klänge und sogar tropierte: »Prosit Neujahr!« Trompete wie Prosit laufen richtig, entsprechend der üblichen bildlichen Darstellung des Zeit- und Bewegungspfeils, nämlich exakt von links nach rechts. Das ganze Ensemble vermag freilich das Mißtrauen, daß da zwar ein neues Jahr und Jahrhundert, aber wohl keine neue Zeit anbricht, nicht zu zerstreuen.

Eine Pfingstkarte von 1904 (Abb. 20) bietet gleich ein gedoppeltes Konzert. Links am Bildrand eine etwas braune Birke; auf dem diagonal nach rechts laufenden


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