mischt mit Märchenhaftem immerhin den
Topos eines großen Mythos: den nämlich des Orpheus, der die Natur in Bann
schlägt.
Neujahrsglückwünsche 1909 (Abb. 69): Ein Kleinkind/Knabe mit kaum angedeuteter
Geschlechtlichkeit, fast noch im Flügelkleide, reitet auf einem Steckenpferd. Er bläst auf
einem um den Körper geschlungenen Musikinstrument, eine Mischung aus Signalhorn,
Tenorhorn, Tuba, Sousaphon. Ventile sind nicht einmal angedeutet. Ausgesprochen
kunstvoll ist dagegen die Verflechtung der Stiele der vier vierblättrigen Kleeblätter, die
aus diesem Instrument herauswachsen. In ihm vereinen sich Füllhorn der Fortuna,
Mutter Natur und Vase. Die intermodale Verschränkung der Sinnesgebiete ist damit
ingeniös realisiert. Die Kleeblätter denotieren allegorisch das – im Kartentext auch
verbalisierte – »Viel Glück im Neuen Jahre«. Musik scheint Leben zu bedeuten
und hervorzurufen. Es sind tatsächlich vier Stengel, die – wie Töne – aus der
Instrumentenöffnung herauswachsen, aber so miteinander verschlungen, daß sie als mehr
wirken. Da es schwierig ist, den Gang der Stengel im einzelnen zu verfolgen,
ergeben sich sozusagen Stimmkreuzungen mit einen ausgesprochen polyphonen
Effekt.
Mit Pauken und Trompeten
Neujahrsglückwünsche, 1901 (Abb. 57): Eine winterliche Landschaft am Meer, aber ohne
Schnee; ein rosiger Horizont suggeriert den Sonnenaufgang. Als Gesandter,
ungeschickter, von rechts nach links geht der Glücksbringer, natürlich ein großes
Schwein, am Zaum geführt von einem kleinen Jungen mit postbotenartiger Uniform und
ebensolcher Umhängetasche, aber mit nackten Beinen und Füßen, einen gesiegelten Brief
bereits in der Hand. Auf dem Schwein sitzt jemand, der ein Mittelding zwischen Neuem
Jahr und Fortuna sein dürfte: eine Frau, blond, sittsam im Damensitz seitwärts (sogar
ein Sattel ist angedeutet), lange blonde Haare, offenherziges Mieder, dafür die stattliche
Büste gepanzert wie Madonna oder eben die damalige Germania, wie sie unzählige
Statuen, Bilder usw. der Zeit, vor allem aber die Briefmarkenserie des Deutschen Reichs
vorführten.
In der rechten Hand stützt sie sich malerisch auf ein malerisches Schild (eher
das Schild als der Schild, der es eigentlich sein sollte), auf dem steht »Viel
Glück«. Mit der linken hält sie eine ventillose Langtrompete. Ihr entströmen, mit
den üblichen Linien angedeutet, sichtbar Signal-Klänge und sogar tropierte:
»Prosit Neujahr!« Trompete wie Prosit laufen richtig, entsprechend der üblichen
bildlichen Darstellung des Zeit- und Bewegungspfeils, nämlich exakt von links
nach rechts. Das ganze Ensemble vermag freilich das Mißtrauen, daß da zwar
ein neues Jahr und Jahrhundert, aber wohl keine neue Zeit anbricht, nicht zu
zerstreuen.
Eine Pfingstkarte von 1904 (Abb. 20) bietet gleich ein gedoppeltes Konzert. Links am
Bildrand eine etwas braune Birke; auf dem diagonal nach rechts laufenden