- 159 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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das Akustische im Modus des Imaginär-Realen. Wie die immer erneuten und vielfältigen Ansätze zur Verbindung von Akustischem bzw. Musik vor allem mit Optischem zeigen, dominiert letztlich ein gewisses Ungenügen an der nur auf eine Sinnes-Dimension eingeschränkten Technischen Reproduktion. In dieser wird im Verlauf ihrer historischen Entwicklung und systematischen Entfaltung mühsam und unvollkommen genug etwas von dieser Einheit resynthetisiert, die die Menschen in und mit ihr zunächst nur stückweise, analytisch zu ergreifen vermögen.

Bei den neuen Synthesen von Musikalischem und Optischem innerhalb der Kulturformen und Medien gibt es, systematisch gesehen, zwei gegenläufige Prozesse, je nach Vorrang des einen oder anderen, und in diesem Zusammenhang wiederum verschiedene, hier nur andeutungsweise zu nennende Typen.

Zum einen werden nach der Formel Musik + x (das hier weit überwiegend Optisches ist) Musik, d. h. sowohl die Musikinstrumente wie der (technisch vergegenständlichte) Musiziervorgang bebildert, gewissermaßen illustriert. Zum andern wird nach der Formel x + Musik Musik mit fast beliebigen Elementen und Objekten verbunden. Dabei werden einerseits Gegenstände zum alltäglich-praktischen Gebrauch oder als wichtiger Sonderbereich Spielzeuge mit Musik(apparaten) versehen. Andrerseits kommt Musik zu Optisch-Medialem hinzu, das selber also bereits von Gegenständen abgezogenes, technisch (Re-)Produziertes ist. Die historisch vorerst wichtigste Erscheinungsform dieses Typs ist der Film. Ziele sind hier wie dort, durchaus widersprüchlich, Naturalismus und/oder gesteigerte Künstlichkeit. Für diese steht vor allem die »reine« Musik, für jenen vor allem die Beimischung von Geräusch bzw. Realton. In der Anfangszeit der Technischen Reproduktion des Akustischen zeigt eine Notiz von 1878 in der Gartenlaube (168) ironische Skepsis gegen die Bild-Ton-Verbindung: »Ein Engländer hat vorgeschlagen, zu den für die Nachwelt aufzuhebenden Reden und Dialogen [sc. prominenter Schauspieler] das Mienenspiel in einer entsprechenden Folge zu photographieren, so daß man die Person mit ihrem Mienenspiel sähe und sie gleichzeitig reden oder singen hörte – ein Non plus ultra von Zukunftsspaß!« Gegenüber dem bloßen Porträt per Einzelbild ist, allerdings nur gedacht, die quasi-filmische Sukzession zur Bilder-Reihe vorgesehen.

In der Reduktion auf die zwei Elemente Bild und Wort stellt sich das Akustische mittels synästhetisch ergänzender Assoziation her, die durch eines dieser beiden Elemente oder von beiden zusammen evoziert und provoziert wird. Das breite Spektrum umfaßt bloße Geräusche, Klänge, Sprechen, Singen oder (instrumentales) Spielen, Tanzen.

Wir haben hier einmal mehr einen der Berührungspunkte zwischen Rummelplatz und Staatsoper, Avantgarde- bzw. sogar Elitekunst und Massenkultur. Phänomene wie die »schreiende Reklame« auf dadurch sprechenden Wänden oder Litfaßsäulen und generell moderne Werbetechniken reichen etwa bei Stéphan Mallarmé bis hinein in poetische Strukturierung und Typographie, trotz


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