- 158 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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und Kapitalverwertung eingebettet. Anlässe werden von den Unternehmern regelrecht gesucht und gegebenenfalls erfunden; das Kapital reaktiviert zu kommerziellen Zwecken traditionale wie moderne oder modernisierte Bräuche und ebenso Symbole von Fortuna, Osterhase, Glücksklee und -schwein und -fee bis zu Auto, Maikäfer und Kanone. Motive aus Glauben und Aberglauben, die sich ja sowieso nur graduell, nicht prinzipiell unterscheiden, gehen dabei neue und manchmal originelle Verbindungen ein.5
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Ausführlich dazu Kaufmann, S. 169–173.
Allerdings treten ältere, zumal allegorische Motive zurück, wie sie noch auf entsprechenden Biedermeierkarten dominierten.6
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Vgl. Kaufmann, S. 169. Ein kursorischer Vergleich mit den etwas anders klassifizierten »Besuchs- und Glückwunschkarten« vor allem aus der Zeit vor 1848, mit einigen Rückblicken ins 18. Jahrhundert bei Gottschalk (S. 123–156) zeigt überdies, daß meist wesentlich aufwendigere technische Verfahren mit Applikationen, bewegten Teilen usw. eingesetzt wurden – der Charakter der (relativen) Luxusproduktion im Vergleich zur Massenproduktion der Postkarten ist evident. Dafür ist allerdings der Anteil an i. w. S. Musikalischem geringer.

Betrachten wir nun die ausgewählten Karten näher, so fangen sie fast im Wortsinn an zu sprechen, zu singen und zu klingen. Der Klang der Bilder (so die Formulierung im Buchtitel K. von Maurs) ist natürlich imaginär-real, aber doch so suggestiv und deutlich von der optischen Gestaltung her, daß er als – auch intendierter – integraler Bestandteil des Ganzen erscheint. Später spielen in diesem Bereich dann tatsächlich reale Klänge mit; so etwa von in speziell bearbeitete Papiere eingepreßte Schallplattenrillen, vermutlich spätestens seit den 1950ern, oder von Glückwunsch- bzw. »Schmucktelegrammen« der Deutschen Bundespost vermutlich etwa seit den 1970ern mit kurzem eingebautem Gedudel. (Das wäre bereits ein anderes, neues Forschungsfeld.) Es ist vielleicht eine gewisse Übertreibung, in jedem Einzelfall hier bereits von Theatralisierung und Gesamtkunstwerk-Tendenz (vgl. Heister 1993 und 1998) zu sprechen. Aber Überleben wie Reaktivierung von Elementen der Mimetischen Zeremonie, die tendenziell alle Künste wie Sinne umfaßt, sind offensichtlich.

Die Bezeichnung Soundtrack über die terminologische Verwendung im Film hinaus ist in diesem Zusammenhang vielleicht kurz erklärungsbedürftig. Es geht speziell um Verbindungen zwischen Leben und Kunst bzw. Musik, die einem Prinzip der Homologie bzw. Übereinstimmung folgen. Vereinfacht gesagt: je mehr Musik, zumal technisch reproduzierte, in alle Lebensbereiche implantiert wird, desto eher tritt sie auch in diversen Kunstbereichen und -arten auf. Dem entspricht die Rückspiegelung und Rückwirkung: je mehr, ausstrahlend nicht zuletzt eben vom Kino, auch und gerade schon beim Stummfilm, Vorgänge im Kommunikations-, Medien- und Kunstbereich ununterbrochen mit Musik begleitet und untermalt werden, desto mehr wird eine solche Untermalung auch in der Realität erwartet.

Die Glückwunschkarten gehören jedenfalls generell zu den selber bereits technisch-medialen Re-Synthetisierungen der Sinneselemente, hier im Hinblick auf


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