- 151 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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ANHANG V:

Aus: Rundschreiben des Tonika-Do Bundes, Nr. 69 (Mai 1967)

Nachstehend bringen wir den Bericht einer ihrer erfolgreich arbeitenden Schülerin, Frau Carmen Dulce [Marcondes Machado], staatliche Beamtin für Musikerziehung.

Seitdem ich verstanden habe, daß das absolute Gehör, das meine Lehrer besaßen, keinem meiner Schüler übermittelt werden konnte, auch wenn sie noch so begabt waren, fing ich an, einen Weg zu suchen, um mein eigenes Gehör als Musikerin endgültig zu bilden. Ich fühlte, daß ein solcher Weg existieren müßte, aber wo ihn finden? Im Februar 1949, als ich meinen Namen auf der offiziellen Liste der ausgewählten Lehrer für die Ausbildung der Schulmusiklehrer aller Grade erblickte, ergriff mich eine Panik. Ich ging zum Direktor der Schule, wo ich schon Gesang unterrichtete, und der mich für den Lehrstuhl der »Tonlehre« vorgeschlagen hatte, und erklärte ihm, daß ich ein solches Amt nicht annehmen könnte. »Tonlehre« bedeutet, die Ausbildung der Schüler zu leiten, das Gehör zu erziehen, was Ton und Rhythmus anbetrifft, und sie zu befähigen, irgend welches Musikstück prima vista auszuführen. Nun, ich habe einen ganzen Musikkursus durchgemacht, habe Vomblattsingen in einem entsprechenden Buch, das mir rechtzeitig gegeben wurde, studiert, benutzte dazu das Klavier und, da ich ein gutes musikalisches Gedächtnis habe, konnte ich meine. Aufgaben mit Leichtigkeit ohne Fehler präsentieren.

Auch fehlte mir nicht der künstlerische Sinn, noch die Fähigkeit, musikalische Phrasen zu verstehen. Aber, wie sollte ich ein Bewußtsein der Töne erfassen und eine Sicherheit der funktionellen Kraft eines jeden Tones im melodischen Tonverlauf? Woher die Sicherheit erlangen, ein Musikdiktat ohne Fehler und ohne innere Bedrängnis auszuführen?

Alles, was ich von Intervallen wußte – der gewöhnliche Unterrichtsprozeß – erschwerte mir noch mehr die schwierige Aufgabe. Wie sollte ich Schulmusiklehrer unterrichten, da ich nicht, wie meine Lehrer, absolutes Tongehör besaß und wußte, daß dieses nicht erlernbar war? Ich ging also zum Direktor, aber er nahm meine Weigerung nicht an und befahl, daß ich suchte, was nötig war, diesen Lehrstoff zu unterrichten.

Ich vertraute auf die natürlichen Anlagen, die ich besaß, und faßte Mut, zum Studium. Aber ich fand nichts, was das Problem endgültig lösen würde. Dann machte ich mich daran, alle Traktate über Vomblattsingen zu studieren und suchte Lehrer von Ruf. Niemand konnte mir in meiner Angst helfen. Die Methode Ward mit ihren Nummern, der Prozeß mit Intervallen und andere ähnliche Methoden gaben mir keine Antwort.

Auf dem Gipfel der Beunruhigung begegnete ich eines für mich glücklichen Tages einer Kollegin, die zu einem Kursus über Gregorianik ging, den die Benediktinerin


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