sich
noch zu mir – ich muß noch Briefe schreiben. – Die innere Festigkeit wirkte so
mitreißend, daß unerwartete Kräfte gegeben wurden, die ein Dabeibleiben bis fast
zuletzt ermöglichten, in einer Fassung, wie sie der ihren einzig würdig war.
Unvergeßliche Stunden. Gespräche über die Kinder, die liebsten Menschen –
Bestellungen, Aufträge, Verteilen kleiner Andenken, Adressen – alles in tiefer Ruhe und
Klarheit. Immer wieder: ich bin ja so froh! Sie selbst schrieb noch ein paar wenige
Briefe schrieb auch einen letzten Wunsch auf: daß man die Urne im Grabe der
Eltern beisetzen möge. Nach dem Brief an den Bruder noch eine Erklärung für
andere Stellen: »Da ich keine Kraft mehr fühle, den mir vorgeschriebenen Weg so
plötzlich zu gehen, scheide ich als letzte eigene Willenshandlung freiwillig aus
dem Leben. Das Mittel dazu habe ich mir von meiner letzten Auslandsreise
mitgebracht, für den Fall höchster Not. Ich sterbe meiner Herkunft gemäß und
in meiner Gesinnung als Deutsche und als Christin.« – Ein Herüberreichen
– Ein Blick des Einverständnisses – gut so? Ja! – Weiter ging die Nacht, die
unvergeßliche – Um 3 Uhr ein Abschied: Aufgaben wurden gestellt – Dank
ausgesprochen – Ein Kuß, ein Händedruck. – Nach einer langen Weile noch ein leises
Klopfen an der Tür – eine praktische Bitte – noch einmal ein Abschied, der
allerletzte: jetzt gehe ich mich noch ein bißchen mit mir selber unterhalten – und
mit dem lieben Gott. Und dann das Lied, von Graun komponiert, das ich so
liebe. . . ”
Ein Händedruck – leise verschwand eine geliebte Gestalt, schon im Nachtgewand, durch
die letzte Tür, aufrecht und still. – Zwei Stunden später: in einem Schlafwinkelchen
brennt eine einsame Lampe – ein Mensch liegt dort im Bett, ganz ruhig und sanft, wie
schlafend – eine Hand unter dem Kopf (auf dem vorher selbst vorbereiteten Kissen), die
andere locker entspannt auf der Brust, der Kopf leicht zur Seite geneigt – die Lippen
leise geöffnet entschlafen. –
Auf dem Tisch ein Zettel, bei allen anderen Briefen und Papieren – in der gleichen festen
Handschrift: 4.15 Uhr.
Und am Bett auf einem Regal – in stiller Ordnung: ein Becher – darunter ein Heft mit
der letzten Seite eines Vortrages, der selber einmal zum Ende der sehr geliebten und
verehrten älteren Freundin gehalten worden war**– oben auf dem Regal, ganz dem
letzten Lager zugewandt, ein Blütenstrauß, eine Postkarte mit der Pietá von Klimsch,
ein altes Bild des Schweißtuches der Veronika von Correggio mit dem dornengekrönten
Christus – und aufgeschlagen dazwischen das Gesangbuch – angestrichen das
Lied
»Ich bin erlöst durch meines Mittlers Blut
. . . Ich bin erlöst.«
* Das Gedicht Gottfried Kellers:
Augen,
meine
lieben
Fensterlein,
Gebt
mir
schon
so
lange
holden
Schein,
Lasset
freundlich
Bild
um
Bild
herein:
Einmal
werdet
ihr
verdunkelt
sein!