konnten die Kursteilnehmer bereits eine Messe singen, allerdings noch nicht
alle Gesänge. Am 22. November, Fest der heiligen Cäcilia, sang der Chor die
Messe vollständig, zur allgemeinen Erbauung der Gläubigen und Freude der
Kursteilnehmer.
Staatliche Inspektorin der Konservatorien im Staate São Paulo, Brasilien,
Ein kurzer Blick auf die musikpädagogische Situation in Brasilien kann die besonderen
Schwierigkeiten andeuten, denen sich Paula Loebenstein gegenübersah. In diesem
Zusammenhang erweist sich insbesondere die Vermutung, es habe möglicherweise eine
inhaltliche Verbindung zu Villa-Lobos bestanden, als ausgeschlossen.
Ähnlich der Entwicklung »nationaler Schulen« in Europa kam es mit einiger Verzögerung
in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch in Südamerika zu einer Selbstbesinnung
auf eigenständige musikalische Wurzeln. Der vorherrschende Einfluß der europäischen
Romantik wurde zurückgedrängt. Einflußreichster Vordenker dieser Bewegung war in
Brasilien Heitor Villa-Lobos (1887–1959). Dieser hatte schon zwischen 1905 und 1913
Expeditionen in das Amazonas-Gebiet durchgeführt um bei Eingeborenen und Bauern
musikalische Materialien zu sammeln. (Vgl. in Europa Dvoøák, Bartók, Kodály, Sharp
und andere!)
Nach seinem mehrjährigen Aufenthalt in Paris und internationaler Anerkennung als
Komponist wandte sich Villa-Lobos ab 1932 der Musikerziehung zu. Er übernahm die
Schulaufsicht für die musikalische und künstlerische Erziehung (Superintendência da
Educação Musical e Artística – SEMA) im Bereich Rio de Janeiro. Ziel war es, die
Qualität des Musikunterrichts zu fördern und eine (Massen-)Chorbewegung aufzubauen
(orpheonic singing). Der Erfolg dieser Bewegung führte 1942 zur Gründung
einer »Nationalen Schule für chorisches Singen«, die als Modellversuch dem
Erziehungs- und Gesundheitsministerium unterstand und die Villa-Lobos bis zu
seinem Tode leitete. Diese Institution war für alle Fragen der musikalischen
Lehrerausbildung ebenso verantwortlich, wie für die Inspektion aller Chorinitiativen im
Lande.
Der pädagogischen Arbeit von Villa-Lobos ist häufig ihre Nähe zur faschistischen
Diktatur (Getulio Vargas) nachgesagt worden, in deren (auch nicht-musikalischen) Zielen
er sich zumindest teilweise wiederfinden konnte und von der er jede Unterstützung
erhielt. Dieses der Unbedarftheit des Künstlers zuzuschreiben wäre schon deswegen
unangemessen, weil Villa-Lobos welterfahren genug war, um die Attribute von
Diktaturen zu erkennen. (Er besuchte im gleichen Jahr sowohl die von dem nach Prag
vertriebenen Leo Kestenberg initiierte 1. Konferenz der „Internationalen Gesellschaft für
Musikerziehung” [»ISME«], – bei der die deutsche Schulmusik fehlte –, wie auch das
Deutschland des 3.