- 134 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (133)Nächste Seite (135) Letzte Seite (435)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

anderes über. Sie dachte darüber nach, was wohl der Grund sein könnte und entschloß sich, nach reiflicher Überlegung, mit der Frau Äbtissin zu sprechen.

Ohne daß Schwester Paula dies wußte, ließ diese Kursteilnehmerin, die Regierungsbeamte ist und die staatliche Aufsicht über Konservatorien unter sich hat, die Frau Äbtissin rufen. Sie bat diese, ob sie nicht einen Kurs über allgemeine Musikpädagogik haben dürfte. Frau Äbtissin sagte, es wäre ein besonderer Fall und eine solche Ausbildung würde Jahre dauern. Sie würde über den Fall nachdenken. Schwester Paula sei überbeschäftigt und behandele nur Gregorianik.

Nach drei Tagen gab sie eine zustimmende Antwort, und der Unterricht begann. Zuerst waren es alle vier, die an dem Kurs teilnahmen. Es stellte sich aber bald heraus, daß der neue Unterrichtsstoff nur die eine Teilnehmerin, die Beamte, wirklich interessierte. So blieb sie allein. Alles, was ihr erklärt wurde, war vollständig neu für sie. Sie war früher nur Pianistin, wandte sich aber dann dem Pädagogischen mehr zu. Sie verbrachte schlaflose Nächte, einen solchen Eindruck machte ihr die Umstellung.

Nach einigen Monaten versuchte sie das Gelernte anzuwenden. Sie wählte dazu ein ziemlich unbegabtes Mädchen, das sie – ohne Bezahlung – unterrichtete. Nach einem Monat konnte dieses Mädchen bereits sieben Stücke auf dem Klavier und in allen Tonarten spielen. Für Improvisation hatte sie anfangs Schwierigkeiten, die aber auch bald überwunden wurden. Das Gehör bildete sich, mit Tonika-Do, ausgezeichnet. Drei Monate später wurde ein Kurs für Kinder eingerichtet, und diese erste Schülerin half bereits beim Unterrichten. Später richtete diese selber einen Kurs ein, für Kinder. Nach Verlauf eines Jahres konnten die Kinder des ersten Kurses bereits alle Töne, Modulation und alle Rhythmen: tafe-ta etc.

Der Unterricht wird, wegen der Schwierigkeit der Silben do-re-mi, die in Brasilien absolute Tonhöhe bedeuten, mit der historischen Silbenreihe da-me-ni-po-tu-la-be27

27
Die Silben wurden von Karl Heinrich Graun entwickelt und verwendet. Sie gehören zu den vielen Neuentwicklungen des 18. Jahrhunderts. Graun bildet die Silben mit einer fortlaufenden Vokalreihe.
, die Schwester Paula gewählt hat, gegeben.

Nach sechs weiteren Monaten richtete die Schülerin (Regierungsbeamte) einen Kurs für Lehrer und Lehrerinnen ein. Dieser behandelte neben der Gehörsbildung auch Musikpädagogik und lebendige Harmonielehre nach Tonika-Do. Dieser Kurs war ein besonderer Erfolg, wie eine Offenbarung für die Lehrer. Sie hätten nie gedacht, daß Harmonielehre interessant sein könne, und daß sie einen besonderen Platz im Berufsleben des Musiklehrers einnehmen könne.–

Nach dem ersten Jahr des Kinderkursus, als die Hauptlehrerin schon nicht mehr Zeit für alle Stunden fand, übergab sie den Kinderkurs an ihre erste Schülerin. Diese hatte sich bereits so vervollkommnet, daß sie andere Kurse einrichten mußte. Es kamen die Mütter aus vielen Stadtvierteln, aus den Gegenden der reichsten und angesehensten Leute, und baten um Unterricht für ihre Kinder. An diesen Kursen nahmen schon Kinder von drei Jahren teil. Die Mütter waren ganz erstaunt über die Leistungen und dachten, ihre Kinder wären alle Genies. Sie fragten die Lehrerin, die erklärte, daß die T.D.Methode diese Resultate allgemein zeitigte. Die Hauptlehrerin besuchte von Zeit zu Zeit die Stunden der Kinderkurse und war ganz erstaunt über die Entwicklung, die diese angenommen hatte. Sie war gekommen, um etwa zu helfen und fand, daß sie selber noch zu lernen hätte. Es wurden nun von den Lehrer-Kursteilnehmern überall Tonika-Do-Kurse eingerichtet, für Klavier, Harmonie und Kinderkurse, auch im Kindergarten. Ein Kindergarten hat einen entzückenden Raum hergerichtet, ganz auf Tonika-Do eingestellt, mit pädagogischem Material, Instrumenten für Kinder, die diese teils selbst fertiggestellt haben. –

Fast alle Konservatorien des Bezirks haben die Taktsprache angenommen. Hier in Brasilien sind andere Handzeichen in den Schulen obligatorisch, so daß es da einige Schwierigkeiten noch zu überwinden gibt.28

28
Es handelt sich vermutlich um das von Villa-Lobos eingeführte »manosolfa«.
In einigen Städten in der Umgebung von São Paulo gibt es schon Tonika-Do-Kurse, in Campinas und in Santos. Alle diese Kurse sind unter ständiger Aufsicht der Hauptlehrerin.

Im August wurde ein Kursus für Gregorianik eingerichtet, der ganz auf Tonika-Do basiert. Leiter ist ein Benediktiner-Pater, Dom Candido Padim, Schüler von Schwester Paula. Am 8. September


Erste Seite (1) Vorherige Seite (133)Nächste Seite (135) Letzte Seite (435)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 134 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben