- 132 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Hymnus, und es ist traurig zu sehen, wie noch heute die Lehrbücher für Gregorianik mit Hilfe des absoluten Gehörs zur Beherrschung der gregorianischen Melodien gelangen wollen. Die beiden Schlüssel der Gregorianik, der Do-Schlüssel und der Fa-Schlüssel bestimmen keine absolute Tonhöhe, und doch glaubt man, die Notierungsweise sei in C-Dur.

Ganz besonderen Wert lege ich auf die Ausbildung der neu eintretenden Schwestern. Es ist eine Freude zu sehen, wie diese, meistens ohne jegliche musikalische Vorbildung, die relative Kraft der Ton-Silben erfassen.

Als Ausgangs-Tonart habe ich den Dorischen Kirchenton genommen. Für ihn habe ich die Kontrollwendungen errichtet, in ihren Bewegungen denen von Dur entsprechend. Statt Do-Si-Do also: Re-Do-Re etc. Ich gebrauche die Handzeichen und die Silbentabelle. Für die Takt-Sprache habe ich keine Anwendung, da in der Gregorianik alle Töne gleich lang sind, und es keinen Takt, sondern nur den freien Rhythmus gibt. Modulation von einem Kirchenton in den andern kommt häufig vor.

Da es hier vor allem darauf ankommt, vom Blatt zu singen – denn es ist unmöglich, die täglich geforderten Gesänge stets einzuüben –, lege ich zunächst das Hauptgewicht auf diesbezügliche Uebungen. Hierbei arbeite ich viel mit der inneren Tonvorstellung. Für mich ist es eine schöne Bestätigung der Arbeit, wenn ich beobachte, wie die Schwestern üben. Oft sitzen 5–6 im selben Uebungsraum. Entweder singen alle laut, jede etwas anderes, und sie sind so konzentriert, dass sie sich gegenseitig nicht stören. Oder sie singen »innerlich« und arbeiten genau so sicher. Oft kommt es vor, dass im letzten Augenblick eine Schwester eine andere in einem Solopart vertreten muss. Dies vollzieht sich stets in grösster Ruhe und Sicherheit.

Gleichzeitig mit der Gehörbildung setzt die Stimmbildung ein. Wenn diese auch nicht unmittelbar zur Tonika-Do-Lehre gehört, so habe ich persönlich meine diesbezüglichen Kenntnisse der segensreichen Arbeit des hochverehrten Herrn Kantor Stier zu verdanken. Technische und innere Haltung, eine tiefe Sammlung und Stille, ermöglicht durch eine sichere Atemführung: alles dies ist Voraussetzung für die Menschenbildung, und dieses führt wiederum zum Hören, zur zuwartenden Haltung und zur Bereitschaft, die ewigen Wahrheiten zu empfangen.

Die Notwendigkeit, die Stimmbildung in meine Arbeit einzubeziehen, hat mir deutlich gezeigt, dass ohne Stimmbildung – in diesem tiefen Sinne – eine Gehörbildung nicht möglich ist, und ich möchte diese Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, für den Vorschlag, Atem– und Stimmbildungsübungen mit in die Tonika-Do-Lehre einzubeziehen. In meinem jetzt erscheinenden Buch »Canto Sacro« habe ich diese meine Idee bereits verwirklicht.25

25
CANTO SACRO, Bahia 1951. – Nachdem ein Nachweis in brasilianischen Bibliotheken lange erfolglos blieb, stellte jetzt die Abadia de Santa Maria, São Paulo, dem Verf. freundlicherweise ein Exemplar zur Verfügung.

Die Resultate sind eindeutig. Neben einem guten, sicheren Stimmsitz, der die Stimme voll und rund macht, habe ich erzielt, dass die Stimme nicht ermüdet, trotz grösster Inanspruchnahme. Wir singen in der Weihnacht vier Stunden hintereinander, fast unausgesetzt, und während all dieser Jahre empfindet niemand die leiseste Ermüdung.

Der Bericht wäre aber nicht vollständig, wenn ich nicht noch einer meiner vielen Schüler Erwähnung tun wollte. Es ist eine Pianistin und Musikpädagogin, Regierungsbeamte, die die Konservatorien zu überwachen hat. Dieser besonders begabten und interessierten Frau gebe ich einen Vollkursus in Musikpädagogik und Musiktheorie. Alles mit Tonika-Do. Sie nimmt mit ungewöhnlichem Verständnis auf und bildet nun ihrerseits Lehrer in T. D. aus. Für eine Arbeiterzeitschrift gibt sie monatlich eine T. D.- Stunde schriftlich heraus. Ein Konservatorium hat sich bereits völlig umgestellt.

Das wäre in Kürze ein Bericht über meine Musik-Tätigkeit. Sollte es von Interesse sein, über Einzelnes näher unterrichtet zu werden, so bin ich gerne dazu bereit. Ich freue mich, durch diese Zeilen


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