Hymnus, und es ist traurig zu sehen, wie noch heute die Lehrbücher
für Gregorianik mit Hilfe des absoluten Gehörs zur Beherrschung der
gregorianischen Melodien gelangen wollen. Die beiden Schlüssel der
Gregorianik, der Do-Schlüssel und der Fa-Schlüssel bestimmen keine absolute
Tonhöhe, und doch glaubt man, die Notierungsweise sei in C-Dur.
Ganz besonderen Wert lege ich auf die Ausbildung der neu eintretenden
Schwestern. Es ist eine Freude zu sehen, wie diese, meistens ohne jegliche
musikalische Vorbildung, die relative Kraft der Ton-Silben erfassen.
Als Ausgangs-Tonart habe ich den Dorischen Kirchenton genommen. Für
ihn habe ich die Kontrollwendungen errichtet, in ihren Bewegungen denen
von Dur entsprechend. Statt Do-Si-Do also: Re-Do-Re etc. Ich gebrauche
die Handzeichen und die Silbentabelle. Für die Takt-Sprache habe ich keine
Anwendung, da in der Gregorianik alle Töne gleich lang sind, und es
keinen Takt, sondern nur den freien Rhythmus gibt. Modulation von einem
Kirchenton in den andern kommt häufig vor.
Da es hier vor allem darauf ankommt, vom Blatt zu singen – denn es
ist unmöglich, die täglich geforderten Gesänge stets einzuüben –, lege ich
zunächst das Hauptgewicht auf diesbezügliche Uebungen. Hierbei arbeite ich
viel mit der inneren Tonvorstellung. Für mich ist es eine schöne Bestätigung
der Arbeit, wenn ich beobachte, wie die Schwestern üben. Oft sitzen 5–6 im
selben Uebungsraum. Entweder singen alle laut, jede etwas anderes, und sie
sind so konzentriert, dass sie sich gegenseitig nicht stören. Oder sie singen
»innerlich« und arbeiten genau so sicher. Oft kommt es vor, dass im letzten
Augenblick eine Schwester eine andere in einem Solopart vertreten muss.
Dies vollzieht sich stets in grösster Ruhe und Sicherheit.
Gleichzeitig mit der Gehörbildung setzt die Stimmbildung ein. Wenn
diese auch nicht unmittelbar zur Tonika-Do-Lehre gehört, so habe ich
persönlich meine diesbezüglichen Kenntnisse der segensreichen Arbeit des
hochverehrten Herrn Kantor Stier zu verdanken. Technische und innere
Haltung, eine tiefe Sammlung und Stille, ermöglicht durch eine sichere
Atemführung: alles dies ist Voraussetzung für die Menschenbildung, und
dieses führt wiederum zum Hören, zur zuwartenden Haltung und zur
Bereitschaft, die ewigen Wahrheiten zu empfangen.
Die Notwendigkeit, die Stimmbildung in meine Arbeit einzubeziehen, hat
mir deutlich gezeigt, dass ohne Stimmbildung – in diesem tiefen Sinne –
eine Gehörbildung nicht möglich ist, und ich möchte diese Gelegenheit nicht
ungenutzt lassen, für den Vorschlag, Atem– und Stimmbildungsübungen mit
in die Tonika-Do-Lehre einzubeziehen. In meinem jetzt erscheinenden Buch
»Canto Sacro« habe ich diese meine Idee bereits
verwirklicht.25
CANTO SACRO, Bahia 1951. – Nachdem ein Nachweis in brasilianischen
Bibliotheken lange erfolglos blieb, stellte jetzt die Abadia de Santa Maria, São
Paulo, dem Verf. freundlicherweise ein Exemplar zur Verfügung.
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Die Resultate sind eindeutig. Neben einem guten, sicheren Stimmsitz, der
die Stimme voll und rund macht, habe ich erzielt, dass die Stimme nicht
ermüdet, trotz grösster Inanspruchnahme. Wir singen in der Weihnacht vier
Stunden hintereinander, fast unausgesetzt, und während all dieser Jahre
empfindet niemand die leiseste Ermüdung.
Der Bericht wäre aber nicht vollständig, wenn ich nicht noch einer
meiner vielen Schüler Erwähnung tun wollte. Es ist eine Pianistin und
Musikpädagogin, Regierungsbeamte, die die Konservatorien zu überwachen
hat. Dieser besonders begabten und interessierten Frau gebe ich einen
Vollkursus in Musikpädagogik und Musiktheorie. Alles mit Tonika-Do.
Sie nimmt mit ungewöhnlichem Verständnis auf und bildet nun ihrerseits
Lehrer in T. D. aus. Für eine Arbeiterzeitschrift gibt sie monatlich eine T.
D.- Stunde schriftlich heraus. Ein Konservatorium hat sich bereits völlig
umgestellt.
Das wäre in Kürze ein Bericht über meine Musik-Tätigkeit. Sollte es von
Interesse sein, über Einzelnes näher unterrichtet zu werden, so bin ich gerne
dazu bereit. Ich freue mich, durch diese Zeilen