Die folgende Einführung in das Gregorianische Singen ist außerordentlich detailliert:
Sachdarstellungen werden immer mit einer großen Anzahl praktischer Übungen
verbunden. Hinzu kommen Analysen einzelner Stücke und deren praktische Umsetzung.
Zusammenfassungen einzelner Abschnitte dienen dem besseren Überblick über das
Erarbeitete.
Ein Detail, das in der Vergangenheit immer wieder zu Varianten geführt hat, ist die
Frage, ob sich die Moll-Skala aus der Dur-Skala herleitet, – d. h., ob die Moll-Skala mit
»do« oder »la« beginnt. Maria Frieda Loebenstein entscheidet sich für die zweite
(tradierte) Form. Entsprechend heißt die Reihe des I. Kirchentons (dorisch), mit der
sie beginnt, re mi-fa sol la si-do re. Die Halbtonschritte liegen in jeder Skala
zwischen mi-fa und si-do. Die aus stimmbildnerischen Gründen von Kodály neu
eingeführten Silben »so« (statt »sol«) und »ti« (statt »si«) übernimmt sie
nicht.
Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt, daß auch der zweite Teil des Buches, »Die
Choralbegleitung«, mit dem Spielen der diatonischen Reihe beginnt. Erst dann
folgen Übungen zu den Kirchentönen, Material-Übungen zur Zweistimmigkeit,
Improvisationsübungen und die 2- und 3stimmige Choralbegleitung. Es ist offensichtlich, daß
Maria Frieda Loebenstein auch zu diesem Teil – besonders in den Übungen – beigetragen
hat. Wie sie schon in ihrer Klavierpädagogik der Improvisation größten Wert zugemessen
hatte20
Klavierpädagogik, Leipzig 1932, s. besonders Anhang »Pianistische Improvisation«, S.
113–130.
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so erscheint auch im Kapitel »Choralbegleitung« ein eigenes Kapitel
»Improvisationsübungen«
21
A. a. O. (s. Anm. 18), S. 141 ff.
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.
Die Übungen in der »Choralbegleitung« werden mit relativen Tonsilben durchgeführt.
Allerdings braucht man die absoluten Benennungen zur Orientierung in den
verschiedenen Tonarten.
Man muß sich aber klar werden, daß die relative Tonbewegung und daher die
relative Tonbenennung die eigentlich wirksame bleiben muß. Die absolute
Tonbenennung ist bereits ein indirektes Hilfsmittel.
Daher werden die melodischen Instrumentalübungen vor allem darauf
gerichtet sein, die relative Beziehung der Melodietöne im Bewußtsein zu
erhalten. Sie bleibt, ebenso wie beim Singen, richtungweisend.
Es wäre ein großer Umweg, wollte man nun bei der Begleitung etwa die
Silbenreihe do, re, mi usf. mit c, d, e usf. übersetzen. Die Übertragung auf das
Instrument würde einen zweifachen psychologischen Akt zur Folge haben.
Soll zum Beispiel ein Stück in Es gesungen werden, so müßte einmal das do
nach c und zweitens dann nach es übertragen werden. Und so wäre es bei
allen Tonarten
[...].22
A. a. O., S. 136 f. – Kodály schreibt im Vorwort zu Bicinia Hungaria I (1937):
»Der so [in die Solmisation W. H.] eingeführte Schüler liest leicht und rasch.
Er wundert sich nicht, daß er dem auf einen anderen Platz gestellten do stets
einen anderen Namen geben muß, da ja auch der Mensch zwei Namen hat.
Do-c, do-f bestimmen so den Ton wie János Szabó die Person, c oder do besagt
allein nur soviel wie Szabó oder János.« (Fr. Sándor, 1966, S. 32 f.)
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