- 125 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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von »höchster Stelle« verordnet werden, nicht zuletzt, um ein Mindestmaß an Kenntnissen und Fähigkeiten durch (Volksschul-)Lehrer zu gewährleisten, die als Allround-Dilettanten mit einer profilierten Unterrichtsarbeit (in allen Schulfächern) hoffnungslos überfordert waren. – Ein Blick in heutige 5. Klassen zeigt, daß sich zumindest im Musikunterricht nur wenig geändert hat. (Der als Fachwissenschaftler ausgebildete Gymnasiallehrer war methodischen Zugängen gegenüber immer schon skeptisch. Aus diesem Grunde entstammten viele Methodiker häufig anderen schulischen oder außerschulischen Bereichen.)

Für Phleps sind die Vorgänge von 1933 ein klarer Fall von »Entjudungsaktion« durch »Pgs«, womit alle Fronten geklärt sind: Der Vorsitzende hat hier gut Reden, ist doch bereits auf der ,Außerordentlichen Hauptversammlung‘ am 28. November 1933 im Tonika-Do-Bund – mit dem eliminatorischen Vokabular des Lexikon der Juden in der Musik [...] – »die Reinigung von allen jüdischen Elementen erfolgt«. Unter dem unscheinbaren Tagesordnungspunkt 1, »Neuwahl eines Vertreters des Vorsitzenden«, wird Maria Leo ohne Namensnennung aus ihrem Amt und ebenso aus den Annalen des Bundes entfernt wie Frieda Loebenstein. Und Stier hat die Stirn, in seinem mit aggressiven Ressentiments gegen die Moderne und die populäre Kultur vollgeschriebenen, die hehre Kirchen- und Volksmusikkultur von jeglichem braunen Belag weißwaschenden Erinnerungsbuch diese ,Entjudungsaktion‘ als den Wunsch der Betroffenen hinzustellen, um die »Arbeit des Bundes« nicht zu gefährden [...].
Gleichviel. Unter den ,arteigenen‘ Tonika-Do-Volksgenossen jedenfalls sind die Aufgaben schnell verteilt – ,Pg.‘ Stier führt weiterhin von Dresden aus die Oberaufsicht, in Berlin übernimmt ,Pg.‘ Elisabeth Noack (von Maria Leo) die Leitung des Tonika-Do-Verlages [...].11

11
Thomas Phleps, Die richtige Methode oder Worüber Musikpädagogen sich streiten, Internetfassung
http://www.user.uni-bremen.de/~phleps/Methode.html 2001, o. S. – Der genaue Ort von Zitaten kann wegen fehlender Seitenzahlen nicht angegeben werden.

Hierbei spielt der »Kreide-fressende Prototyp des evangelischen Nazis« Stier eine ebenso fatale Rolle wie die »NS-Vielfachfunktionärin« Noack. Für Phleps bleiben die Auslassungen Stiers in den Tonika-Do-Mitteilungen ebenso unverständlich wie das Bild von Elisabeth Noack: Ein merkwürdiges Bild ergibt sich, wenn man den Bericht der NS-Vielfachfunktionärin Noack von der Nacht der Selbsttötung ihrer Freundin Maria Leo liest, der sie bis kurz vor dem Ende beiwohnt.12

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Vgl. den Bericht Noacks im Anhang. Für den Todestag von Maria Leo werden mehrere Daten angegeben: 2. Februar 1942 (Phleps), September 1942 (Rieger, obwohl es sich hier vielleicht nur um den Zeitpunkt für die Abfassung des Berichts handelt), 1942/1943 (Das Neue Lexikon der Musikpädagogik, Kassel 1994 nennt im Art. Leo zwei Daten!)

Natürlich ist von einem Wissenschaftler, der die Rolle von Methoden-Funktionären aufzuklären versucht, nicht mehr zu erwarten. Ob allerdings Zeugnisse, die nicht ins Bild passen, als unglaubwürdig oder parteilich angesehen werden müssen, ist doch wohl zu bezweifeln.13

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Für Phleps scheint »– so man denn in dieser Art des Musiklernens überhaupt einen Sinn sehen sollte – [. . . ] Jale das schlüssigste und praktikabelste dieser Systeme« zu sein, das sich nach 1945 in der DDR tatsächlich durchsetzen kann. – Dem wäre hinzuzufügen, daß Jale sich nicht durchsetzte, sondern nach langen Debatten staatlich verordnet und überwacht wurde. Hier wiederholt sich der Mechanismus des »Methodenzwangs«, der (in neuerer Zeit) auch die Durchsetzung der Systeme von Kodály und Villa-Lobos ermöglichte. – Zu der sehr berechtigten und notwendigen Nationalsozialismus-Kritik gibt Heinz Antholz zu bedenken: »Diejenigen, die in unserem Fach geschrieben haben und den Vorwurf erhoben haben, es wäre schlimm, dass man damals nicht gleich wie 1968 gedacht habe, die haben keine Ahnung von geschichtlichen Verläufen.« (Unveröffentl. und unkorr. Interview vom 17. 11. 1999.)

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