- 124 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Für die Zeit von 1933 bis zu ihrem Eintritt in die »Abadia de Santa Maria« in São Paulo ist dagegen wenig bekannt. Zwar hatte sich Frieda Loebenstein wie Maria Leo aus der Verbandsarbeit zurückgezogen, diese wurde aber ohnehin von der Reichsmusikkammer weitgehend vereinnahmt. Wesentliche Stücke aus Frieda Loebensteins Arbeitsansatz standen in absolutem Widerspruch zur Linie der neuen Herren. So wurden z. B. Erfindungsübungen nicht mehr als adäquate Methode angesehen, sondern den kulturbolschewistischen Tendenzen der Kestenberg-Ära zugerechnet. Peter Raabe (Präsident der Reichsmusikkammer) hielt diese Art des Musikunterrichts 1934 für »frechen Blödsinn«: Da sollte man nun wirklich doch dazwischen hauen! Und dieser freche Blödsinn wird seit Jahren in den Schulen geduldet.10
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Zit. bei Fred Ritzel, »Dieser freche Blödsinn wird seit Jahren in den Schulen geduldet« – Über Improvisation in der Musikpädagogik, in: Improvisation und neue Musik, hg. von Reinhold Brinkmann, Mainz: Schott 1979, S. 66–95 – Jetzt auch unter:
http://www.uni-oldenburg.de/~ritzel/Material/Bl%F6dsinn.htm

Die Umstände von Frieda Loebensteins (und Maria Leos) Ausscheiden aus dem Vorstand des Tonika-Do-Bundes haben in einer neueren musikwissenschaftlichen Arbeit eine Würdigung erfahren, der hier kurz nachgegangen werden soll. Thomas Phleps schreibt in seinen Anmerkungen zur Funktion und zum Funktionieren von Solmisationssilben und ihren Produzenten... über den »Methodenstreit« in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese materialreiche Arbeit ist erfrischend zu lesen – nicht zuletzt wegen der etwas verspäteten 68er Polemik, bei der gelegentlich der Eindruck entsteht, als sei die Produzenten-Schelte nichts anderes als der Spruch des Funktionärs über Funktionäre. So berechtigt das einerseits sein mag, so bleiben andererseits Fragen offen, die den Kern der Methoden und die hinter ihnen stehenden Menschen betreffen. Das ist allerdings wohl auch kaum von einem Wissenschaftler zu erwarten, dem die grundsätzlichen Probleme der Solmisation offensichtlich fremd geblieben sind und der die Dinge aus der sicheren Distanz eines Spätgeborenen analysieren kann.

Phleps zeigt an den Auseinandersetzungen von Tedisten und Eitzianern den Weg von nationalistischen Argumenten und Intellektualismus-Vorwürfen bis zur (gegenseitigen) rassistischen Denunziation und den unmittelbaren Folgen des Jahres 1933. Daß bei all dem ein gerütteltes Maß Opportunismus zu fragwürdigen Überlebensstrategien der Verbandsleitungen führte, steht außer Frage. Die vorgetragenen Argumente hatten allerdings eine Vorgeschichte, die noch weit in das 19. Jahrhundert zurückreicht und zu der ein unentwirrbarer Komplex von Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, latentem oder offenem Antisemitismus, Antiintellektualismus, Standesbewußtsein und Skepsis gegenüber Frauenrechten und Emanzipation gehört. Zudem hatte man verinnerlicht, daß Methoden


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