- 117 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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von Krieg und Frieden ereignet sich zwischen zwei Machtblöcken. Sie wird im 20. Jahrhundert sekundiert von einem durchaus als Krieg anzusprechenden Konflikt zwischen einem Staat und Teilen seiner Bevölkerung: Totalitäre Regime linker und rechter Provenienz gehen gewalttätig gegen Dissidenten und angefeindete Bevölkerungsgruppen vor. Diese Erscheinung hat in vielfältiger Form das Komponieren von Klagen und Anklagen evoziert, die hier nicht näher betrachtet werden können12
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Vgl. dazu Stefan Hanheide, Hans Werner Henzes Sinfonia N. 9 und die Tradition antifaschistischer Komposition, in: Hans Werner Henze. Politisch-humanitäres Engagement als künstlerische Perspektive, hg. von Sabine Giesbrecht u. Stefan Hanheide, Osnabrück 1998, S. 19–55.
. Diese Facette hat noch weitere Erscheinungsweisen: Das Verhalten von Musikern und Musikwissenschaftlern, die in jener Zeit der Diktaturen im Land geblieben sind: In Deutschland etwa Richard Strauss oder Carl Orff und viele andere, in der Sowjetunion Schostakowitsch und Prokofiew, schließlich viele Komponisten in der DDR. Als Pendant sind die Komponisten in der Emigration zu nennen, Eisler und Schönberg zum Beispiel. Ein weiteres Feld ist die Funktionalisierung von Musik im totalitären Staat bis hin zur Musik in den Lagern. Zwar hat es in der deutschen Musikwissenschaft viel zu lange gedauert, bis das Thema »Musik im Dritten Reich« aufgegriffen wurde. Aber inzwischen bildet es doch einen beachtlichen Forschungszweig, der immer wieder neue Publikationen hervorbringt.

Sowohl in diesem Bereich als auch auf dem Gebiete der Marschmusik und der Battaglia liegen zahlreiche Veröffentlichungen vor. An Untersuchungen über Antikriegsmusik und Friedensmusik fehlt es dagegen fast gänzlich, was ein Desiderat aufdeckt. Zwar gibt es entsprechend zur Marschmusik oder zur Battaglia keine eigene Gattung für die Antikriegs- und Friedensmusik. Das Verbindende liegt allein im gemeinsamen Sujet. Aber die Existenz von mehr als 500 Kompositionen dieser Art läßt doch die Berechtigung erkennen, sich dieser Spezies wissenschaftlich zuzuwenden.

Einen ersten Versuch der Darstellung solcher Musik hat 2001 der Friedensforscher Dieter Senghaas in einem kleinen Suhrkamp-Büchlein unternommen13

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Dieter Senghaas, Klänge des Friedens. Ein Hörbericht, Frankfurt a. M. 2001.
. Er hat darüber auch in verschiedenen Rundfunksendern gesprochen und in seiner Rede zur Verleihung der Tübinger Ehrendoktorwürde. Als Eva Rieger in der Musikforschung eine Rezension zu dem Suhrkamp-Band schrieb, urteilte sie, daß die Musikwissenschaft von dem Buch kaum Nutzen davon trage. Das mag so sein, denn ein Friedensforscher wird musikwissenschaftliche Ansprüche naturgemäß nicht vollends befriedigen können. Aber ist nicht eigentlich die Frage schon problematisch? Muß eine musikwissenschaftliche Publikation notwendig der Musikwissenschaft nutzen? Seitdem bekannt wurde, daß ich mich mit dieser Thematik beschäftige, erhielt ich zahlreiche Anfragen aus vielen Wissenschaftsgebieten: aus der Kunstgeschichte, der Zeitgeschichte, der Friedensforschung, der Theologie usw. Das zeigt also, daß viele andere Wissenschaftsgebiete an
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