zielgerichtete
Funktion; sie kann also weder absolut noch autonom sein – und politikfrei schon gar
nicht.
Erst seit etwa 1930 zeigt sich in der sogenannten »engagierten Musik« eine Strömung,
die dieser Doktrin entgegengetreten ist. Musik wird hier dezidiert funktionalisiert, sie
steht im Einsatz für Agitation und Bewußtseinsbildung zur politischen Veränderung. Der
Kampf gegen Krieg und Gewalt und für Frieden und Gerechtigkeit bildet eine tragende
Säule der engagierten Musik. Zwei Hauptarten lassen sich hier erkennen: die
Antikriegsmusik und die antifaschistische Musik, letztere setzt sich fort in Musik gegen
andere Formen des Totalitarismus. Die Komponisten sehen ihre Aufgabe vorrangig in der
Anklage. Zur Darstellung gelangt die Verderbnis des Krieges, die Grausamkeit totalitärer
Gewalt und die Klage über Tod und Zerstörung. Schon in den dreißiger Jahren hatte
sich bei deutschen Komponisten linker Orientierung eine Antikriegshaltung
etabliert, so bei Hans Eisler und Karl Amadeus Hartmann, beide in der Emigration
lebend9
Hartmann lebte in der »inneren Emigration« in München.
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Auch die Vertreter der Zweiten Wiener Schule, die als Speerspitzen des Fortlebens einer
absoluten Musik angeführt werden, haben sich »engagiert«: Arnold Schönbergs in weiten
Kreisen bekannte Komposition
Ein Überlebender aus Warschau ist zu nennen und seine
Ode an Napoleon, eine Hitler-Persiflage. Alban Bergs Oper
Wozzeck klagt die
Unterdrückung sozial Schwacher an, nicht zufällig im Soldatenmilieu. Anton Webern
dirigerte Arbeiter-Sinfoniekonzerte in Wien. Die Zahl von Kompositionen gegen den
Krieg und für den Frieden, gegen Diktatur und für soziale Gerechtigkeit ist in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark angewachsen. 1957 opponierte Hans Werner
Henze gegen die Atombombenversuche in Vertonungen von Worten Ingeborg
Bachmanns. Um 1960 komponierte Benjamin Britten sein
War Requiem, das nun auch
von britischer Seite aus die Idee der Versöhnung propagiert. Im selben Jahr erschien
Krzysztof Pendereckis Komposition
Den Opfern von Hiroshima, die an den
Atombombenabwurf 1945 erinnert. Luigi Nono hat in vielen zentralen Werken
Diktatur, Krieg und Unterdrückung thematisiert. Bis heute ist die engagierte Musik
angefeindet und wird von der etablierten Musikszene diskriminiert, die nachhaltig an
Musikvorstellungen des 19. Jahrhunderts festhält. Musik ist nach wie vor die Gegenwelt
zur Realität. Die Verknüpfung von Musik und Politik wird bis heute naserümpfend
abgelehnt.
Aber auch an die Gattungen der absoluten Musik – an die Sinfonie vor allem –
läßt sich die Frage stellen, ob sie implizit eine politische Botschaft enthalten.
Möglicherweise tritt im musikalischen Material mittelbar die Wahrnehmung einer
Krisenstimmung oder Bedrohung hervor. Ich habe in meiner Habilitationsschrift die
Frage untersucht, ob in Gustav Mahlers Sechster Symphonie die Vorahnung
des Ersten Weltkriegs und des anwachsenden Antisemitismus zu erkennen