- 113 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Musik und Leben 
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Friedensfeiermusiken. Johann Sebastian Bach zum Beispiel hat nie solche Kompositionen geschaffen, weil seine Dienstherren, ob Stadträte, Kirchenbehörden oder Aristokraten, keine Kriege führten. Anders dagegen sein Zeitgenosse Georg Friedrich Händel, der wiederholt Kompositionen für die militärischen und politischen Erfolgsfeiern der englischen Nation schuf. Aber nicht erst Friedensfeiern zogen Kompositionen auf sich, sondern schon die Verhandlungen dazu. In zahlreichen Fällen schufen Komponisten Musik für Friedensverhandlungen. Sie kam während des repräsentativen Zeremoniells, das die Verhandlungen begleitete, zur Aufführung. Die Kriege wurden in dieser Zeit von festen Heeren und Söldnertruppen auf einem begrenzten Territorium geführt. Die Bevölkerung im allgemeinen blieb weitgehend verschont. Nur in wenigen großen Kriegen wurde die Zivilbevölkerung in beträchtlichem Ausmaß in Mitleidenschaft gezogen. Die Bauernkriege, der Dreißigjährige Krieg und später die beiden Weltkriege sind hier in erster Linie zu nennen. Unter solchen Umständen entstanden Kompositionen, die man als Kriegsklagen bezeichnen kann. Sie benennen die konkreten Auswirkungen der Gewalt und bringen die Sehnsucht nach deren Ende zum Ausdruck.

Die Gründe für das Ausbleiben von Friedenskompositionen in der Epoche der Klassik und Romantik können hier nicht umfassend diskutiert, sondern nur skizziert werden. Sie dürften in der Präjudizierung einer absoluten und autonomen Musik gegenüber jeglichen Einflüssen außermusikalischer Art liegen. Diese Präjudizierung entstammt der ästhetischen Diskussion im 19. Jahrhundert. Aus ihr ging die »absolute« Musik – zumindest im deutschsprachigen Raum – als höherwertig gegenüber der sogenannten Programmusik hervor. Die Programmusik beschäftigte sich mit der musikalischen Umsetzung von Sujets jeglicher Art. Ein solches Sujet wäre dann auch »Frieden«. Derartige sujetorientierte Kompositionen rangierten nach der herrschenden Vorstellung aber als Gelegenheitswerke in zweiter Reihe. Ihr Wert lag unterhalb von den absoluten, von keinem Sujet geprägten Hauptwerken des jeweiligen Komponisten, der jeweiligen Zeit usw. Daran konnten letztlich auch die Vorreiter der Programmusik – Berlioz, Liszt und Richard Strauß – nichts ändern, genauso wenig wie die argumentativen Unterstützung Richard Wagners. Inhaltsbezogenes Komponieren findet sich selbstverständlich in der wortgebundenen Musik. Opern, Oratorien, Lieder und Chormusik behandeln Sujets jeglicher Art. Aber auch hier bleibt die Friedensthematik weitestgehend aus. Denn Frieden ist ein dezidiert politisches Sujet, und Musik habe, nach der aus der Romantik stammenden Musikvorstellung, mit der Politik möglichst wenig zu tun. Die Musik vertritt das Hehre und Schöne in der Welt. Die Politik gehört dagegen zur alltäglichen Realität, die als negativ und peinigend erfahren wird und aus der man flüchtet in die heile Welt der Musik. Zum einen weist die Musik als absolute Kunst jegliche Sujetorientierung von sich, zweitens lehnt sie als autonome Kunst jede Funktionalisierung ab, drittens gehört die gemeine Politik nicht zu ihren Gegenständen. Musik für Frieden, wie sie auch geartet sein mag, hat immer ein Sujet und erfüllt immer eine konkrete


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