- 99 -Kinzler, Hartmuth (Hrsg.): Vermittelte Musik 
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nicht erlauben, die Diskussion über die Zukunft unseres Bildungssystems mit ihrem Rotstift zu führen.“



Musik als unaufgebbares Merkmal einer humanen Gesellschaft angesichts der Deutungsmuster der Postmoderne


Die zentrale Begründung für den Erhalt und die Subventionierung von Orchestern, Theater und Musikhochschulen wäre eine anthropologische: Musik ist unaufgebbares Mittel und Merkmal einer humanen Gesellschaft. Was man in den Kulturhaushalten der Kommunen und der Länder an falscher (!) Stelle spart (Beachte: Es gibt auch Stellen in den Kulturhaushalten, wo Sparen nicht zu Schaden führen würde!), muß man später im Sozialhaushalt -zigfach drauflegen. Allerdings verpflichtet es die festbesoldeten Musiker, die hochdotierten Dirigenten und Intendanten, die Musiklehrer an allen Schularten und die Professoren in sicheren Planstellen zum ideologiefreien Einsatz in der Öffentlichkeit für das Humanum Musik. Die Voraussetzungen, von denen Musikschaffende mehr als ein Jahrhundert lang gelebt haben, müssen sie heute selbst schaffen. Weder die Gesellschaft, noch die Familien, noch die Schulen und Hochschulen können ein gutes Musikklima schaffen, wenn wir selbst nicht aktiv werden und nach Gleichgesinnten Ausschau halten. Man findet sie unter Lehrerinnen/Lehrern, die keine Musikausbildung haben; unter jungen Eltern und vitalen Großeltern, die gern Musik mit ihren Kindern erleben möchten, aber nicht wissen wie und wo; unter Kinderärzten; unter Psychologen aller Schulen; in Clubs aller Arten; unter Studenten aller Fakultäten. Denn das, was wir hier im Hinblick auf Musik heute zur Sprache bringen, ist kein Einzelfall. In allen Lebensbereichen gibt es Umbrüche und dieselben Unsicherheiten, weil Deutungsmuster des Lebens, die die sogenannte Moderne seit der Aufklärung angeboten hat, ihre Gültigkeit verlieren.


Ein Deutungsmuster der Moderne war: Die Welt ist rational erklärbar. Man muß nur vernünftig handeln und als aufgeklärter Mensch den Fragen und Anforderungen des Lebens „cool“ begegnen, dann gibt es keine Lebensprobleme mehr. Es gibt höchstens Betriebsunfälle. Die Zeit des Tragischen ist vorbei. Emotionen sind verdächtig und entbehrlich. Für Freude besteht kein Anlaß; der aufgeklärte Mensch hat „Lust auf ...“.


Die Fragwürdigkeit eines anderen Deutungsmusters der Moderne spüren wir, wenn wir an die „Fortschritte“ der Medizin, der Gentechnik, der Technik überhaupt denken. Diese Zukunftsperspektive seit dem 19. Jahrhundert lautet: Die naturwissenschaftliche Forschung und die ihr folgende Technik ermöglichen dauernde, qualitative Verbesserungen des Lebens. Wir alle benutzen und genießen jeden Tag die Errungenschaften der Moderne. Zugleich scheint es, daß die Grenzen des Fortschritts erreicht sind.



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